taz.de -- Gaspreise in Europa: Preisdeckel für die Niederlande

Die niederländische Regierung will künftig einen Grundbedarf an Strom und Gas subventionieren. Jenseits der Grenze ist der Marktpreis fällig.
Bild: In den Niederlanden ist der Energiemix traditionell stark auf Gas ausgerichtet

Amsterdam taz | Lange hat die niederländische Regierung gezögert, jetzt greift sie doch ein: Am Dienstag verkündete sie einen „vorübergehenden Preisdeckel für Gas und Elektrizität“. Diese Maßnahme, die im ganzen kommenden Jahr gilt, soll Haushalten angesichts der Inflation „Sicherheit bieten“, heißt es in einer Stellungnahme. Wegen akuter Probleme, [1][die viele Haushalte nun bereits mit ihren Gasrechnungen haben], will man ab November den monatlichen Betrag senken.

Konkret ist vorgesehen, dass der Preisdeckel bis zu einem durchschnittlichen Haushaltsverbrauch von [2][1.200 Kubikmetern Gas] sowie 2.400 Kilowattstunden Elektrizität gilt. Der Preis für die entsprechende Menge soll auf dem Niveau vor dem Ukrainekrieg liegen. Der Kubikmeter Gas soll nicht mehr als 1,50 Euro kosten, Strom pro Kilowattstunde 0,70 Euro. Jenseits dieser Grenze wird der Marktpreis bezahlt – und Verbraucher so zum sparsamen Konsum angespornt.

Ein durchschnittlicher Haushalt soll nach Regierungsangaben damit etwa 2.280 Euro im Jahr sparen. An den Details wird weiterhin gearbeitet, heißt es in der Mitteilung, die erst kurz vor der Präsentation der Haushaltspläne für das kommende Jahr veröffentlicht wurde.

Die Mitte-rechts-Koalition in Den Haag reagiert damit auf den zunehmenden Druck anlässlich verschiedener Szenarien, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden. So erwartet das die Regierung beratende Centraal Plan Bureau (CPB), dass bis zu 1,2 Millionen Haushalte ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Das Nationale Institut für Budget-Information (Nibud) sieht 2,5 Millionen und damit ein Drittel aller Haushalte gefährdet.

Angesichts solcher Perspektiven gab es in den vergangenen Wochen starke Kritik an der Regierung. Die hatte zwar Ende August ein 17 Milliarden Euro schweres Paket zur Stärkung der Kaufkraft beschlossen. Dieses aber gilt ab 2023, und [3][die Forderung nach einem sofortigen Eingreifen wurde von der Regierung stets als unmöglich abgelehnt].

Der Sinneswandel erklärt sich nicht zuletzt mit dem dramatisch schlechten Image der Vier-Parteien-Koalition von Premier Mark Rutte. Gemäß der jährlichen Umfrage zum Start des parlamentarischen Jahres wurde deren Popularität mit 3,3 (auf einer Skala von 1 bis 10) so schlecht bewertet wie keine ihrer Vorgängerinnen. 65 Prozent der Befragten sprachen sich für Neuwahlen im nächsten halben Jahr aus, darunter auch zahlreiche Anhänger der Koalitionsparteien. Insofern kann der Preisdeckel auch für die Regierung eine Rettungsleine bedeuten.

Dass die Energiekrise die Niederlande besonders hart trifft, hat auch tiefere Gründe: Der Energiemix ist traditionell stark auf Gas ausgerichtet. Hinzu kommt die Liberalisierung des Energiemarkts 2004. Dass Konsumenten mit flexiblen Kontrakten ständig den Anbieter wechseln konnten, gefiel den sparfreudigen Niederländern. Seit Ende 2021 sind sie damit aber besonders anfällig für Preissteigungen.

21 Sep 2022

LINKS

[1] /Folgen-der-Energiekrise/!5879630
[2] /Taxonomie-fuer-Erdgas/!5879628
[3] /Energiekrise-in-Europa/!5883126

AUTOREN

Tobias Müller

TAGS

Energiekrise
Erdgas
Strommarkt
Niederlande
Inflation
Energiekrise
Nordstream
Energiekrise
Türkei
Schwerpunkt Iran
Schwerpunkt Atomkraft

ARTIKEL ZUM THEMA

Hilfe in der Energiekrise: Wie EU-Nachbarn Gaskunden helfen

Einmalzahlung und Preisbremse: Der deutsche Weg, Kosten für Brennstoff zu begrenzen, zog Kritik auf sich. Da lohnt ein Blick in die Nachbarländer.

Gaslecks an „Nord Stream“- Pipelines: Sabotage nicht ausgeschlossen

Nach Druckabfall in beiden Ostsee-Pipelines wurden Lecks gefunden. Experten halten einen Sabotage-Akt für denkbar. Polen bringt Russland ins Spiel.

Sinnhaftigkeit der Gasumlage: Finanzminister Lindner hat Zweifel

Nach den Grünen stellt nun auch der FDP-Minister infrage, dass die zur Rettung der Gasversorger vorgesehene Gebühr für alle Gaskund:innen sinnvoll ist.

Syrische Geflüchtete in der Türkei: Plötzlich Wahlkampfthema

Viele Syrer, die ihre Heimat verlassen wollen, beginnen ihre Reise aus der Türkei. Dort wachsen Ressentiments gegen Geflüchtete.

Proteste in Iran: Die Revolution wird wieder getwittert

In Iran demonstrieren seit Tagen Menschen gegen das Regime. Berichte aus dem Land sind rar. Aber Videos in sozialen Medien geben einen Eindruck.

Bayerisches Atomkraftwerk Isar 2: Undichte Stelle wirft Fragen auf

Was hat es mit dem Leck in einem Ventil auf sich? Und warum müsste ein Austausch vor November erfolgen, wenn das AKW länger laufen soll?