taz.de -- Rechte Proteste wegen Preissteigerungen: Hoffnung auf linke Unterstützung
Rechtsextreme hoffen, sich mit Linken verbünden zu können, um den Staat wegen steigender Preise zu destabilisieren. Aber die Linken ziehen nicht mit.
Der mediale Sound scheint einhellig: Rechte und Linke gehen wegen steigender Lebensmittel- und Energiekosten auf die Straße. Ein heißer Herbst droht anlässlich kalter Wohnungen, eine explosive Stimmung folgt auf explodierende Preise. Eine Querfront von Rechten und Linken bahnt sich an, wird auch nach dem vergangenen Sonntag und Montag weiter kolportiert. An den Tagen marschierten aber weder in Hamburg noch in [1][Leipzig] Linke und Rechte bei einer gemeinsamen Demonstration auf.
In Norddeutschland hatten verschiedene rechte Netzwerke zu Protesten aufgerufen. Nach dem Vorbild der rechtsextremen Freien Sachsen versuchten sie die drohenden sozialen Spannungen zu instrumentieren. Eine [2][Demonstrationsankündigung der Freien Sachsen] suggerierte, dass Gregor Gysi von der Linken gemeinsam mit Jürgen Elsässer vom rechtsextremen Compact-Magazin als Redner auftreten würde. Bei den Protesten kamen aber keine linke Organisation zusammen.
In Hamburg versammelten sich unter dem Motto „Es reicht! Wir haben keinen Bock auf Armut“ rund 300 Demonstrierende. Den Aufmarsch verantwortete Tom Naumann. Der Angestellte der Hamburger Polizei hat schon Querdenken-Demonstrationen angemeldet. Die Polizei leitete 2020 seine Entlassung wegen der Nähe zur Reichsideologie ein. Die Kündigung akzeptierte Naumann nicht und klagt dagegen. Er sieht sich auch nicht als Reichsbürger. Auf der Demonstration entwickelte er sogleich eine neue Selbstbezeichnung: „Wir sind keine Reichsbürger, wir sind Es-reicht-Bürger!“
Es marschierten viele Rechtsextreme mit, darunter der NPD-Kader Torben Klebe, sowie Markus Haintz, prominenter Anwalt von Querdenkenden. Aus dem Tross erfolgten prompt die gewohnten Positionen gegen „Cancel Culture“ und „Genderschwachsinn“. Statt linker Beteiligung kam es vielmehr zu einem kleinen Protest von Antifaschist*innen. „Lächerlich“ war ein Kommentar auf einem Plakat des Gegenprotestes.
Teilnehmende bekannt von Querdenken-Demos
„Fast alle Teilnehmenden sind von den Querdenken-Demos bekannt“, stellte „Antira Info Hamburg“ fest. Das Netzwerk beobachtete regelmäßig die Proteste der Querdenken-Bewegung an der Elbe.
Die Idee der Querfront hatten rechte Strateg*innen aber auch selbst befeuert. Nicht bloß die Freien Sachsen hoffen, mit der Hinwendung zu sozialen Themen neuen Zuspruch und Zulauf zu gewinnen. Gleiches gilt für Teile der AfD. Das rechte Institut für Staatspolitik und das Compact-Magazin hoffen darauf, sich in den Positionen und Diskussionen von [3][Sahra Wagenknecht] zu verbinden. Sowohl Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer als auch Björn Höcke (AfD) schwärmen von der Bundestagsabgeordneten der Linken.
Doch in der Linken vertreten nur Einzelne die Position, dass sie überzeugte AfD-Wähler:innen nicht hinausdrängen würden, wenn diese sich dem [4][linken Protest gegen sozialen Verwerfungen ]anschließen wollen. Und selbst diese Personen würden keine rechtsextremen Funktionsträger:innen auf eine Bühne einladen, heißt es aus der Partei.
Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Textes fand sich eine missverständliche Formulierung, die man so lesen konnte, als würden wir Markus Haintz ebenfalls zu den Rechtsextremen zählen. Wir haben die Stelle vereindeutigt und bedauern den Irrtum. Die Redaktion
8 Sep 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Rechte marschieren bei Friedensdemos mit und gewinnen so Akzeptanz. Die Veranstalter*innen versäumen, sich zu distanzieren – wie zuletzt in Hamburg.
Seit Sahra Wagenknechts von der AfD bejubelten Rede im Bundestag herrscht offener Kampf in der Partei.
Sahra Wagenknecht wirft Deutschland einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vor. Die Linksfraktion klatscht gemeinsam mit der AfD.
Vor der Grünen-Parteizentrale protestiert ein linkes Bündnis gegen unsoziale Krisenpolitik. Auch Verschwörungsideolog:innen folgten dem Aufruf.
In Prag gehen Rechte und verunsicherte Bürger wegen hoher Energiepreise auf die Straße. Zudem sind sie gegen die Ukraine-Politik der Regierung.
Die rechtsextremen „Freien Sachsen“ behaupten, Gregor Gysi und Sören Pellmann würden mit ihnen demonstrieren. Die Linken-Politiker klagen dagegen.