taz.de -- „Tatort“ aus Hamburg: Bizarre Realitätsverschiebung

Der „Tatort“ „Schattenleben“ aus dem Norden spielt in linken Milieus und will möglichst divers sein. Dabei versteht er am Ende alles falsch.
Bild: Nana (Gina Haller) aus der „linken Szene“

Viel ließe sich über diesen Tatort sagen. Über die warme kollegiale Freundschaft zwischen Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz), die selbstverständlich wirkt. Über die Ermittlung des Duos im Fall eines folgenreichen Brandanschlags auf das Zuhause eines Polizisten.

[1][Daneben hat jemand „ACAB“ gesprüht,] „All Cops Are Bastards“, gerne als „linksextremistisch“ gelabelt. Über die alte Liebe von Grosz, die nun als verdeckte Ermittlerin arbeitet, plötzlich Kontakt aufnimmt, dann verschwindet, und Grosz selbst undercover geht. Über die tolle Besetzung.

Stattdessen ist es etwas anderes, das die NDR-Folge „Schattenleben“ bemerkenswert macht. „Ich kann mit der Darstellung linker Milieus im deutschen Fernsehen oft wenig anfangen, weil dort fast alle Figuren deutsch und weiß sind“, wird Regisseurin Mia Spengler in der Pressemappe zitiert. Und erklärt, wieso sie auf einem „Inclusion Rider“ bestanden hat, bevor sie für den Tatort zugesagt hat. Also Vertragsklauseln, die Diversität auf allen Posten beim Dreh zur Voraussetzung machen.

Feine Sache. Aber als der Fall dann einer „Serie von Anschlägen aus der linken Szene“ zugeordnet wird, fängt’s an mit der bizarren Realitätsverschiebung.

Wenn niemand widerspricht

„Nach aktuellem Stand liegt der Fokus der Beobachtung auf der FLINTA-Szene“, heißt es. Und: „Wir gehen gerade in fünf Objekte der Szene gleichzeitig, Hausdurchsuchungen.“ Und: „Mir ist schon klar, dass die Leute in der Szene gut aufpassen.“ Und: „FLINTA? Ja, auch linke Szene, aber ganz andere Ecke. Kennen tu ich da niemanden und mögen auch nicht wirklich. Weißte, ich will mir nicht nach 20 Jahren Aktivismus vorwerfen lassen, ich sei ein Sexist.“

Ähm. Und niemand widerspricht. Auch [2][Falk und Grosz] nicht. Nur: FLINTA ist keine „Szene“. FLINTA ist ein inklusiver Sammelbegriff für eine heterogene Personengruppe. Er steht für: „Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen“. Niemand, niemand, niemand würde jemals sagen: „Die Männer-Szene“. Auch wenn der vermeintliche Kampf in den sozialen Medien immer wieder suggeriert, es gebe klar umrissene Szenen, wie FLINTAs gegen TERFs.

Heißt das, Falke und Grosz stimmen dieser Faktenverdrehung zu, was etwas über die Haltung der Figuren aussagte? Oder wissen weder Drehbuchautorin Lena Fakler noch die Redaktion, wovon sie da sprechen? Sorry, aber wer einen heterogenen Sammelbegriff mit quasiterroristischem Aktivismus verwechselt, kann sich einen „Inclusion Rider“ auch sparen.

12 Jun 2022

LINKS

[1] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
[2] /Tatort-aus-Hamburg/!5763108

AUTOREN

Anne Haeming

TAGS

Tatort
Diversität
Schwerpunkt LGBTQIA
FLINTA*
Schwerpunkt Rassismus
Tatort
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Rassismus
Tatort Bremen
Tatort Berlin
TV-Krimi

ARTIKEL ZUM THEMA

„Tatort“ aus Göttingen: Ist das Rassismus oder Engagement?

Im Göttinger „Tatort“ werden Frauen vergewaltigt, dann wird eine tote Joggerin gefunden. Angeblich soll ein Geflüchteter der Mörder sein.

„Tatort“ aus Mainz: Hört es je auf?

Ein junger Mann, eine ältere Frau – kann das Liebe sein? Die Mainzer „Tatort“-Kommissarin zweifelt. Vor allem, weil eine große Erbschaft im Spiel ist.

Tatort „Flash“ aus München: Der Geruch verbrannter Haare

Nach einem Femizid sind die Kommissare Leitmayr und Batic auf die Erinnerungen eines dementen Therapeuten angewiesen – und beamen ihn in die 80er.

Jonathan Kwesi Aikins über „Tatort“: „Ich habe diese Power verspürt“

Am Sonntag spielt Jonathan Kwesi Aikins wieder im „Tatort“ aus Norddeutschland. Er meint, dass Diversität im Fernsehen eine aufklärerische Wirkung hat.

Tatort aus Bremen: Und dann auch noch Klassismus

Die Geschichte ist überladen, die Dialoge überdramatisch, die Kommissarin gebeutelt vom Kindheitstrauma. Und wer Unterhemd trägt, ist verdächtig.

Abschied beim Berliner „Tatort“: Die Mafia-Prinzessin will raus

Bei ihrem letzten gemeinsamen Fall bekommen es die Berliner Ermittler Nina Rubin und Robert Karow mit dem organisierten Verbrechen zu tun.

„Polizeiruf 110“ aus München: Famoses Spiel

Trotz eines erneuten toten Mädchens ist dieser Krimi ganz großes Kino. Vom diesem Ermittler-Duo möchte man in Zukunft mehr sehen.