taz.de -- Flüchtlingshelferin wird kriminalisiert: Angriffe gegen Helena Maleno

Spanien und Marokko terrorisieren die Aktivistin, so die Weltorganisation gegen Folter. Dabei leitete sie nur Seenotrufe weiter.
Bild: So mancher Flüchtling hat ihre Handynummer: Helena Maleno Garzón

Madrid taz | Die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) beschuldigt Spanien und Marokko, die Menschenrechtsaktivistin Helena Maleno gezielt zu kriminalisieren und sie über längere Zeit terrorisiert zu haben. Die in Nordmarokko lebende Gründerin der Hilfsorganisation „Caminando Fronteras“ (Grenzgänge) – ist einer von 20 Fällen aus elf Ländern, die in einem in Genf veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Europe: Open Season on Solidarity“ (Europa: Die Jagd auf die Solidarität ist eröffnet) untersucht werden.

„Angriffe auf Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten, die für die Verteidigung der Rechte von Migranten arbeiten, haben in den letzten Jahren in Europa dramatisch zugenommen“, heißt es in dem Bericht.

Der Fall Maleno zeigt, wie weit die Verfolgung solidarischer Menschen gehen kann. Die 51-jährige Journalistin und Buchautorin macht seit Jahren vom nordmarokkanischen Tanger aus auf die Opfer der gefährlichen Überfahrt zwischen Marokko und Spanien aufmerksam. Dies brachte ihr schließlich [1][2017 in Marokko eine Anklage] wegen „Menschenhandels“ und „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ ein.

Der Vorwurf stützte sich auf die Tatsache, dass Maleno immer wieder die spanische Hochseerettung anrief, um auf [2][Flüchtlingsboote in Seenot] aufmerksam zu machen. Maleno leitete damit Hilferufe weiter, die sie selbst von den Betroffenen erhielt. Denn die Spanierin ist in Marokko so bekannt, dass so mancher Flüchtling ihre Handynummer mit sich führt, um sie im Notfall anzurufen.

Vereint gegen Menschenrechtler

Die spanische Polizei unterstütze die marokkanischen Behörden bei den Ermittlungen und forderte diese gar auf, die Höchststrafe von 15 Jahren Haft gegen Maleno zu verhängen. Internationale Berichterstattung und Proteste [3][verhinderten dies schließlich]. Maleno wurde 2019 freigesprochen. Doch damit war ihr Leidensweg nicht zu Ende. Seit dem Freispruch wurde sie 34-mal angriffen. Unbekannte drangen in ihre Wohnung ein. Ihre Tochter konnte nicht mehr alleine in die Schule gehen.

Schließlich wurde Maleno 2020 gar gewaltsam von Marokko nach Spanien abgeschoben. „Seit 2017 hat sich mein Leben total verändert. Die Therapeuten, von denen wir während der Zeit begleitet wurden, sagen, dass wir für Folteropfer typische Symptome zeigen“, erklärt Maleno.

Neben Maleno berichtet die OMCT von 20 weiteren Fällen aus elf Ländern, darunter sieben Bergführer, die als Schlepper kriminalisiert wurden, weil sie mitten im Winter in den Alpen zwischen Frankreich und der Schweiz im Schnee feststeckende Migranten unterstützten, oder die 13-jährige Haftstrafe für den ehemaligen Bürgermeister Domenico Lucano für die Aufnahme von Migranten in Süditalien.

„Der Schutz von Menschenleben ist eine legitime Aktivität“, erklärt Gerald Staberock, OMCT-Generalsekretär. „Es ist nicht zu rechtfertigen, dass durch die EU-Migrationsrichtlinien und entsprechende staatliche Politik Personen kriminalisiert werden, die sich mit den Frauen, Männern und Kindern auf der Flucht solidarisch zeigen.“

16 Nov 2021

LINKS

[1] /Marokkos-Justiz-ermittelt-gegen-Aktivistin/!5480759
[2] /!439465/
[3] https://www.fidh.org/en/issues/human-rights-defenders/morocco-criminal-case-against-helena-maleno-dropped

AUTOREN

Reiner Wandler

TAGS

Spanien
Marokko
Flüchtlinge
Schwerpunkt Flucht
Marokko
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Seenotrettung
Abschiebung
Spanien

ARTIKEL ZUM THEMA

Konflikt mit Algerien: Marokko rüstet auf

König Mohamed VI. will sein Land zur regionalen Militärmacht ausbauen. Der nordafrikanische Staat investiert so viel in Rüstung wie nie zuvor.

Auf dem Weg nach Großbritannien: 27 Menschen im Ärmelkanal ertrunken

Die Opfer wollten das ruhigere Wetter für ihre Überfahrt von Calais nutzen. Die Todeszahl dort erreicht einen Höchstwert.

Rettungsschiff Sea-Watch im Mittelmeer: Aus dem Holzboot gerettet

Die Besatzung hat in den vergangenen Tagen fast 500 Menschen aus Seenot gerettet. Doch die Sea-Watch sucht weiterhin nach einem sicheren Hafen.

Geflüchtete vor Gericht in Griechenland: Die Not der Steuermänner

Ayoubi Nadir überlebte nur knapp die Flucht, nun droht ihm Haft wegen angeblicher Schlepperei. Auch in anderen EU-Staaten mehren sich solche Fälle.

Massenabschiebung in spanischer Exklave: Kein fairer Prozess

Hunderte afrikanische MigrantInnen wurden in Spaniens Exklaven in Marokko abgeschoben. Ihre Anwälte sind empört über die Schnellverfahren.

Marokkos Justiz ermittelt gegen Aktivistin: Lebenslang für Lebensretterin?

Gegen die Spanierin Helena Maleno wird in Marokko ermittelt – die Aktivistin half Flüchtlingen in Seenot. Nun steht sie erneut vor Gericht.