taz.de -- Massenabschiebung in spanischer Exklave: Kein fairer Prozess

Hunderte afrikanische MigrantInnen wurden in Spaniens Exklaven in Marokko abgeschoben. Ihre Anwälte sind empört über die Schnellverfahren.
Bild: Nach einer Seenotrettung

Madrid taz | Spaniens neuer sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt. Seit August ließ Sánchez in den beiden spanischen Exklaven an der nordafrikanischen Küste, Ceuta und Melilla, mehr als 300 Immigranten, die den sieben Meter hohen dreifachen Grenzzaun zu Marokko überwunden hatten, im Schnellverfahren abschieben. 55 Abschiebungen gab es allein am Montag, einen Tag nachdem 209 Migranten aus Afrika auf das [1][Gebiet Melillas] gelangt waren.

„Es wurde ihnen nicht ermöglicht, die rechtlichen Schritte einzuleiten, die sie für notwendig halten“, heißt es in einem Protestschreiben der örtlichen Anwaltskammer. 32 Anwälte hatten die 209 Flüchtlinge betreut. 140 von ihnen stellten einen Asylantrag. Die Abgeschobenen hatten noch keinen Verteidiger gesehen, als sie am Montag in Polizeifahrzeuge gesetzt und an die Grenze zur marokkanischen Stadt Nador gefahren wurden.

„Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden“, kommentiert die Lokalzeitung El Faro de Melilla. „Welche Sicherheit haben wir, dass sie in Nador eine menschenwürdige Behandlung erhalten?“ Der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska beruft sich bei den Massenabschiebungen auf ein umstrittenes Rücknahmeabkommen mit Marokko aus dem Jahre 1992.

Solidarität mit der Grenzpolizei

Bei dem Massenansturm vom Sonntag wurden über 20 Immigranten zum Teil schwer verletzt. Einer verstarb nach offiziellen Angaben an „Herzversagen“. Hilfswerke fordern eine unabhängige Untersuchung.

Die [2][spanische Aktivistin Helena Maleno] in Marokko will von einem weiteren Toten auf marokkanischer Seite wissen. „Sánchez war nicht in der Lage, den Angehörigen sein Beileid auszusprechen“, sagt sie. Stattdessen drückte der Ministerpräsident bei Twitter der Grenzpolizei seine „Solidarität“ aus.

Maleno wirft Spaniens Regierung ein „politisches Spektakel“ und eine „Politik der Kriminalisierung“ vor. Zu Beginn seiner Amtszeit, vor der Sommerpause, hatte Sánchez noch für positive Schlagzeilen gesorgt, als er das von Italien abgewiesene Flüchtlingsschiff [3][„Aquarius“] im spanischen [4][Mittelmeerhafen Valencia aufnahm]. Nur wenige Tage später aber ließ er erstmals aus Ceuta 116 Flüchtlinge abschieben. Seit Jahresbeginn sind über 36.000 Flüchtlinge aus Afrika über das Mittelmeer nach Spanien gelangt.

23 Oct 2018

LINKS

[1] /Fluechtlinge-im-Nordafrika/!5451313
[2] /Marokkos-Justiz-ermittelt-gegen-Aktivistin/!5480759
[3] /Keine-Rettung-fuer-Ertrinkende/!5538289
[4] /Fluechtlingsschiff-Aquarius-an-Land/!5513585

AUTOREN

Reiner Wandler

TAGS

Abschiebung
Marokko
Pedro Sánchez
Geflüchtete
Schwerpunkt Flucht
Spanien
Ceuta und Melilla
Spanien
Abschiebung
EU-Afrika-Gipfel
Ceuta und Melilla
Ceuta
Spanien

ARTIKEL ZUM THEMA

Flüchtlingshelferin wird kriminalisiert: Angriffe gegen Helena Maleno

Spanien und Marokko terrorisieren die Aktivistin, so die Weltorganisation gegen Folter. Dabei leitete sie nur Seenotrufe weiter.

Marokkaner erreichen spanische Exklave: Die Gendarmerie schaut tatenlos zu

Marokko lässt 6.000 Migranten schwimmend die Grenze zur spanischen Exklave Ceuta passieren. Rabat will damit Madrid unter Druck setzen.

Marokko lässt Migrant:innen passieren: Schwimmend nach Ceuta

Mehrere tausend Marokkaner:innen sind durch das Mittelmeer zur spanischen Nordafrika-Enklave Ceuta geschwommen.

Misslungene Abschiebung in Hannover: Am Bahnhof zurückgelassen

Mit großem Aufwand sollte eine kranke, schwangere Frau abgeschoben werden. Als das misslang, überließen die Behörden sie einfach sich selbst.

G20-Investitionsgipfel zu Afrika: Handelsparty mit Merkel

Deutsche Firmen sollen mehr in Afrika investieren, dabei will die Bundesregierung nachhelfen. Ob das Geld armen Staaten zugute kommt, ist fraglich.

Klage gegen Spaniens Sofortabschiebung: Über den Zaun – zurück nach Marokko

Spanien steht wegen seiner Abschiebepraxis vor dem europäischen Menschenrechtshof am Pranger. Der Vorwurf: unerlaubte Massenausweisung.

Spanische Exklave in Marokko: Hunderte stürmen Ceuta

Mehr als 600 Geflüchtete sind gewaltsam nach Ceuta eingedrungen. Das Rote Kreuz musste danach 592 Migranten und 22 Polizisten ärztlich betreuen.

Neuer Chef der spanischen Sozialisten: Comeback für Pedro Sánchez

Spanien Sozialisten wählen den früheren Vorsitzenden wieder an die Parteispitze. Das Votum ist eine Rebellion gegen den Parteiapparat.