taz.de -- Verhaftungen von Hongkonger Journalisten: Bleierne Paranoia

Das Sicherheitsgesetz hat Hongkongs Opposition mundtot gemacht. Doch die Sicherheitsbehörden wollen noch mehr: die Selbstzensur der Bevölkerung.
Bild: Ryan Law, Chefredakteurs der Zeitung Apple Daily, wurde am Donnerstag in Hongkong verhaftet

Peking taz | Wer dieser Tage auf Carrie Lams Rede von vor knapp einem Jahr zurückblickt, kann nur staunen, mit welcher Chuzpe die Verwaltungschefin Hongkongs ihre Bevölkerung belügt. Das nationale Sicherheitsgesetz, das Lam damals beworben hat, werde nur eine „extrem kleine Minderheit“ betreffen und die „Freiheit der überwältigenden Mehrheit schützen“. Zudem werde es nicht rückwirkend greifen und weder die unabhängige Justiz noch die Pressefreiheit beeinträchtigen.

Längst ist das genaue Gegenteil von Lams Versprechen eingetreten. Das [1][nationale Sicherheitsgesetz], das Peking der ehemals britischen Kronkolonie aufzwang, hat die politische Opposition Hongkongs mundtot gemacht und die führenden Köpfe der Demokratiebewegung ins Gefängnis verbannt.

Das einst offene Gesellschaftsklima ist einer bleiernen Paranoia gewichen, die jedem Journalisten entgegenschlägt, der mit Hongkongern über politische Themen sprechen möchte. Die Einzigen, die noch bereit zu reden sind, fordern Anonymität und verschlüsselte Kommunikation. Denn jede Aussage kann mittlerweile als Straftat ausgelegt werden – von „Subversion“ bis hin zur „Verschwörung mit ausländischen Kräften“.

Auch profane Zeitungsartikel sind mittlerweile schwerwiegende Verbrechen, wie die [2][Verhaftungsaktion gegen die Chefetage der Zeitung Apple Daily] am Donnerstag beweist. Die Razzia ist in erster Linie eine Warnung an die gesamte Journalistenbranche, sich künftig mit kritischer Berichterstattung zurückzuhalten.

Ziel der Sicherheitsbehörden: Selbstzensur

Das Ziel der Sicherheitsbehörden geht jedoch noch weiter: Sie wollen der gesamten Bevölkerung Hongkongs eine Selbstzensur einbläuen, die von den Menschen schon bald derart stark verinnerlicht wird, dass künftig keine Razzien mehr nötig sein werden.

Dann nämlich hat Pekings Staatsführung ihr Ziel erreicht: Wenn Hongkong zu einem zweiten Schanghai geworden ist; eine wirtschaftlich dynamische, doch politisch vollkommen autoritäre Großstadt – ohne Demonstrationen, kritische Medien und offene Tischgespräche.

17 Jun 2021

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Fabian Kretschmer

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