taz.de -- Rechts abbiegender Lkw tötet Radlerin: Wie lange noch?

Wieder ist eine RadlerIn gestorben, weil ein rechts abbiegender Lkw sie überrollte. Fünf von acht tödlichen Radunfällen 2020 in Berlin verliefen so.
Bild: Unterm Rad: Bild von der Unfallstelle in Friedrichshain, Berlin 3. Juni 2020

Berlin taz | Es gibt Sätze, die das Gehirn ganz von alleine vervollständigt, einfach weil man sie schon so oft hören oder lesen musste. Etwa diesen: „Beim Rechtsabbiegen hat ein Lkw-Fahrer einen …“ Was folgt, ist klar und schrecklich vorzustellen: Die RadlerIn ist tot, überrollt von mehreren Tonnen Metall, weil der Lastwagenfahrer nicht aufgepasst hat; weil er sich nicht an die vor wenigen Wochen überarbeitete Straßenverkehrsordnung gehalten hat; weil sein Chef keine Lust hatte, einen technischen Abbiegeassistenten einbauen zu lassen; weil Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) diese Gefahr nicht ernst nimmt. Ein Tod, der absolut vermeidbar wäre.

Wie der einer 62-Jährigen, die Mittwochmittag in Friedrichshain bei bestem Wetter auf der Petersburger Straße Richtung Landsberger Allee unterwegs ist auf einem der neuen Pop-up-Radstreifen. Ein Lkw, genauer: ein Betonmischer, überrollt sie beim Rechtsabbiegen in die Mühsamstraße.

Die Frau erleidet dabei so schwere Verletzungen, dass sie noch am Unfallort stirbt. Sie ist die achte im Straßenverkehr ums Leben gekommene Radlerin in diesem Jahr. Und die fünfte, die von einem rechts abbiegenden Laster oder Bus getötet wurde.

Wie kann das sein? Wieso will die Politik diesen schon standardisierten Unfalltyp nicht vermeiden?

Möglichkeiten dazu gäbe es. Viele sogar. Getrennte Ampelschaltungen, ein konsequente Kontrolle der laut der neuesten Straßenverkehrsordnung verpflichtenden Schrittgeschwindigkeit beim Abbiegen und [1][elektronische Abbiegeassistenten] zählt Yvonne Hagenbach auf, Vorstand im Verein Changing Cities, Träger des Volksentscheids Fahrrad. Mit Blick auf den Tod der 62-Jährigen fordert sie, vor allem die Kreuzungen bei den Planungen von (neuen) Radspuren nicht zu vergessen. „Sie sind und bleiben die Unfallschwerpunkte.“

Die Pop-up-Radwege selbst, also eigentlich temporäre separate Spuren in Coronazeiten, stehen nicht zur Debatte. Im Gegenteil. „Sie schaffen mehr Platz und Sicherheit für Radfahrende“, sagt ADFC-Sprecherin Lisa Feitsch. „Gute Radinfrastruktur lädt dazu ein, das Rad zu nutzen. Je mehr Menschen unterwegs sind, desto sicherer wird es für den einzelnen.“ Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) hatte vor dem Unfall [2][bereits angekündigt, das Netz auszubauen].

Aus ihrem Haus heißt es, dass die Unfallstelle an der Mühsamstraße bereits untersucht werde; ein genaues Ergebnis liege bisher nicht vor. Unabhängig davon fordert sie eine schnelle flächendeckende Einführung von Abbiegeassistenzsystemen für Lkws, wie ihr Sprecher Jan Thomsen der taz sagte.

Laut der Unfallforschung der Versicherer könnten elektronische Abbiegeassistenten rund 60 Prozent der schweren Unfälle durch abbiegende Lkws, die für betroffene RadlerInnen oft tödlich verlaufen, verhindern.

Angesichts dieser eindeutigen Statistiken kann sich auch Stefan Gelbhaar, Verkehrsexperte der grünen Bundestagsfraktion, nicht erklären, warum Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) den verpflichtenden Abbiegeassistenten für alle Lkws, die in Städten unterwegs sind, explizit nicht in die überarbeitete Straßenverkehrsordnung aufgenommen hat. „Das ist rechtlich problemlos möglich“, sagt er und betont: „Wir brauchen diese Pflicht, sonst wird es Unfälle wie am Mittwoch in Friedrichshain immer wieder geben.“

Am Donnerstagabend um 17.30 Uhr findet am Unfallort in Friedrichshain eine Mahnwache statt. Und wm Sonntag werden wieder viele tausend RadlerInnen bei der jährlichen Sternfahrt für mehr Sicherheit demonstrieren. Sicher wird dieser erneute tragische Unfall dabei auch Thema sein.

4 Jun 2020

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Bert Schulz

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