taz.de -- Deutschlands Komiker und die Satire: Wo lassen Sie schreiben?
Satire darf alles, schrieb Tucholsky, aber sie folgt Regeln. Die wichtigste: Der Satiriker muss selbst schreiben. Der deutsche Comedian lacht lieber selbst.
„Satire darf alles“, schrieb Kurt Tucholsky. Am 21. Dezember jährt sich der Todestag des „Heinrich Heine des 20. Jahrhunderts“. Denk ich an Deutschland in der Nacht, fällt mir immer wieder auf, dass Tucholsky Satire schrieb, auch darüber schrieb, was sie dürfe – „alles“ nämlich –, sich aber selbst nie Satiriker nannte. Daran erkennt man wahrscheinlich den wahren Satiriker. Jan Böhmermann zum Beispiel ist keiner! Auch wenn er Preise in dieser Kategorie in Empfang nimmt. Wer will ihm das verdenken! „Wenn man dir gibt: Nimm! Wenn man dir nimmt: Schrei!“ (Altes jüdisches Sprichwort).
Nun können wir nicht erwarten, dass Gepriesene ihre Preise auf Zuruf zurückgeben. Von Juroren und Pressefachleuten erwarte ich aber, dass sie die einzelnen Fächer unterscheiden können. Können sie aber oft nicht. Heutzutage wird ein Tabubruch schnell als satirisches Mittel eingestuft. Wie zum Beispiel damals beim Schmähgedicht auf Erdoğan, das gerade mal für den Verweis eines Klassenlehrers an den pubertierenden Pausenclown gelangt hätte. Bei [1][Böhmermann] langte das grobe Verslein allemal für den Grimme-Preis.
Schnee von gestern. Ich weiß. „Es gibt keinen Neuschnee“, schrieb Tucholsky mehr melancholisch als komisch vom Problem des Einmaligen, das so schwer zu erreichen sei, weil immer schon vor dir bereits einer seine Fußstapfen in den Schnee gepresst habe. In welche Fußstapfen wollen unsere Böhmermänner im TV treten? Diese nicht selten vorab die Pointe belachenden Comedians. Viele wollen wie Harald Schmidt sein.
Prekariat-Lieferando Barth
Aber wer Schmidt sein wollte, weiß er vielleicht selbst nicht so genau. Das Zwiespältige ist mir aber sympathischer als das sich selbst Belachende. Vom Prekariat-Lieferando Mario Barth bis hin zum zarter besaiteten Jan lachen sie beim Pointensprechen, noch bevor wir es tun. Oder auch nicht.
Furcht und Elend des Comedian im TV-Reich. Kenn ich. Dennoch: Da war mir in den 1990ern das Pokerface von Herbert Feuerstein, nach außen hin der Depp, in Wirklichkeit aber das Autoren-Superhirn von „Schmidteinander“ in der ARD, schon lieber. Als das große Geld der Privatsender winkte, hat Dirty Harry seinen guten Geist nicht mitgenommen. „Das Mündel will Vormund sein“, hieß mal ein Stück von Handke. Die Folge bei wöchentlichen Show-Folgen? Ghostwriter und Gagschreiber. Das alte amerikanische TV-Prinzip: „Sag mir, wie viele Gagschreiber du hast, und ich sage dir, wie berühmt du bist“, ist ja längst im deutschen TV-Humoristenbetrieb angekommen.
Zugegeben, ich beneide die Freiheit der Macher in den Fernsehsendern bezüglich dessen, was da heutzutage alles geht. „Neues aus der Anstalt“ hat wirklich oft satirischen Charakter. Und das im einst fast satirefreien ZDF.
Ulkige Mainzelmännchen
Wo in den 1970ern Dieter Hildebrandt einmal zu viel den Medienkaufmann und wichtigsten Geschäftspartner der blutjungen Mainzelmännchen, Leo Kirch, verulkte und zum Sender Freies Berlin wechselte. Berlin war zwar damals nicht frei und dennoch freier im Umgang mit Satire als Intendant Stolte in Mainz. So bekommt die damals gekippte Hildebrandt-Sendung und deren Titel „Notizen aus der Provinz“ noch einmal eine ganz andere Bedeutung.
Hildebrandt durfte im Ersten Programm zum Beispiel über Bayerns damaligen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauß Sachen sagen wie: „Ich habe etwas gegen Radikale im öffentlichen Dienst.“ Heute dürfte das auch ein Böhmermann! Tut er aber nicht. Mehr albern als scharf sind die Kabarett-Enkel Hildebrandts und, was die Wahl der Waffen betrifft, eher mit dem Hammer als mit dem Florett unterwegs ins Nichtssagende.
Was Satire auch immer darf, der Satiriker darf nie „schreiben lassen“. Vielleicht war Schmidt zum Zeitpunkt seiner „Late Night Shows“ gar kein Satiriker, wollte es vielleicht auch gar nicht sein. Heute aber ist er es eher. Schriftlich. Als Autor. Und: allein. Seit er kein Fernsehen mehr macht! (Ausgenommen seines bezahlten Urlaubs auf dem „Traumschiff“ mit kurzer Gesichthinhalteverpflichtung.)
Alte Pointen
Dieser großartig im Abgang wie ein edler Wein sich selbst hinweg Kredenzende weiß, wie man abgehen muss. Ich sehe sein Comeback in einer neuen Show mit einer alten Pointe schon vor mir: „Meine Damen und Herren, haben Sie schon gehört? Jan Böhmermann hört auf! (Kleine Pause) … Womit?“
Wahrscheinlich funktioniert die Pointe aber wohl doch nicht mit dem kleinen Jan, sondern eher mit der großen Claudia Schiffer, auf die diese Pointe ursprünglich gemünzt war. Damals bei Schmidt hat sie funktioniert. Schade. Dabei steckt ja hinter diesem von mir hier umgeschriebenen Gag doch eine gewisse Parallele: Schiffer und Böhmermann – Top-Model und TV-„Satiriker“. Beide tragen Stoffe vor, die nicht von ihnen sind.
Noch einmal: Der Satiriker ist allein. „Allein wie eine Mutterseele“ muss er sein, wenn ich diese Zeile eines einsamen Wortgiganten, Georg Kreisler, aufgreifen darf. Mutterseelenallein muss er. Dann darf er. Im Team? Macht man Fernsehen. Auch Satire-Magazine.
Sketch über Juden mit Desinfektionsspray
Aber der Gastgeber selbst ist deshalb eben noch lange kein Satiriker, wenn er Satire nur vorträgt oder im Team bearbeitet, bis das Ganze „sendetauglich“ ist. In einem Sketch ein Desinfektionsspray zu benutzen, weil der Jude Polak gerade das Studio verlassen hat, geht nicht in die Annalen deutscher Satire ein. Eher bricht der deutsche „Comedy“-Humorist gern mal in die Bereiche des Analen ein.
Tucholsky, der Mann, der 1919 schrieb, dass Satire alles dürfe, kritisierte 1931 einen Karikaturisten, weil dieser den schwulen SA-Chef Röhm nackt nach dem Akt gezeigt hatte, mit der noch heute für mich gültigen Regel für Satiriker: „Zunächst soll man seinen Gegner nicht im Bett aufsuchen.“
Und heute? Zeigt man den Prominenten nicht nach dem Akt, sondern währenddessen.
Apropos Bett. Frei nach Werner Schneyder: „Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky.“
21 Dec 2018
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