taz.de -- Die Queen of Pop wird 60: Happy Birthday, Madonna!
Die Mutter aller Popikonen hat Geburtstag. Die Lektion, die sie uns erteilt, lautet: Pop gehört keinem und jedem – weil er nichts und alles bedeutet.
Ich war noch nicht mal ein Teenager, als Madonna mich hinterging.
Ihr Album „Music“ aus dem Jahr 2000 war die erste CD, die ich von meinem Taschengeld finanzierte. Gut, ich hatte wider besseren Wissens eine Raubkopie auf der Straße gekauft, weshalb auf der Silberscheibe in kursiven Lettern „Madona“ stand, aber das war egal: Ich liebte Madonnas Cowboyhut, ich liebte „American Pie“, ich tanzte in fransigen Schlagjeans vor dem Spiegel.
Drei Jahre später sollte ich Madonna auf MTV wiedertreffen – ohne Cowboyhut, dafür in Uniform. Im Video zu ihrer kritisch-politischen Single „American Life“ sah meine blonde Madonna, die Bubblegum-Marlboro-Disneyland-Amerika gerade noch umarmt hatte, aus wie eine sadistische Gouvernante. Gefiel mir nicht. Ich fühlte mich von Madonna verraten wie von einer Schulkameradin, die das gemeinsame Freundschaftsband nicht mehr trägt.
Erst, als sie weitere zwei Jahre später in ihrem Abba-Tribute-Song „Hung Up“ durch ein Aerobicstudio turnte, als sie abermals ihre Gestalt gewandelt hatte, wurde es mir bewusst: Die Frau hat schon viele Mädchen vor mir verraten. Und sie wird es wieder tun. Ihre Lektion, das weiß ich heute, ist eine wichtige: Pop gehört keinem und jedem – weil er nichts und alles bedeutet.
New-Wave- oder Esoterik-Madonna?
Dass Madonna nun 60 Jahre alt wird, dürfte Menschen in meinem Alter, geboren zwischen 1985 und 1995, vielleicht überraschen. Denn Madonna könnte auch 40 oder 130 werden – für uns ist sie immer dagewesen, eine Konstante wie die Königin von England oder die Ostsee.
Madonna Louise Veronica Ciccone, Mutter aller Popikonen, erfolgreichste Solokünstlerin in der Geschichte der US-Billboard-Charts, hat im Laufe ihrer über 35-jährigen Karriere Images anprobiert wie Kleider. Man kann sich seine Lieblingsmadonna aussuchen wie eine Actionfigur im Spielwarenladen: Darf’s die New-Wave-Madonna der frühen Eighties sein, die „Ray of Light“-Esoterik-Madonna oder doch Sadomaso-Madonna?
In der Bewertung dieses fraugewordenen Superlativs lassen sich zwei Fraktionen ausmachen: Menschen, die Madonna als Säulenheilige des Popfeminismus feiern. Und Menschen, die sie als gut geschminktes Gesicht des Kapitalismus verteufeln. Beide haben recht.
Die VerehrerInnen, weil Madonna als eine der mächtigsten Personen im Popbusiness ein echtes Role Model für Frauen ist. Weil Madonna, die Songs schreibt und diverse Instrumente beherrscht, Theater spielt und Kinderbücher schreibt, sich zwar immer wieder zum Objekt macht – stets aber aus einer selbstbewussten Subjektposition heraus.
Das Leben im Kapitalismus
Weil Madonnas inszenierte Tabubrüche geholfen haben, weiblicher (und vielleicht sogar queerer) Sexualität ein bisschen Stigma zu nehmen. Und nicht zuletzt hat Madonna mit Songs wie „Like a Prayer“ den moralischen Gegensatz „Heilige und Hure“, dem Frauen in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind, so überdeutlich und augenzwinkernd abgebildet, dass nicht nur die katholische Kirche bis aufs Blut gereizt war.
Aber bei aller Radikalität ist Madonna eben auch Pop, und Pop ist Bild des Lebens im Kapitalismus. Was Madonna in die Hände fällt, wird absorbiert, kopiert, referenziert.
Die Kunstfigur Madonna ist eine große Verdinglichungsmaschine, die selbst Abwegiges zu kapitalisieren vermag: Sie trug dazu bei, Yoga vom Hippie-Spleen zum Trend hochzujazzen, popularisierte die jüdische Kabbala-Lehre und zerrte den Tanzstil Voguing mit ihrem Song „Vogue“ aus dem schwulen New Yorker Underground in den Mainstream.
Besonders Letzteres nehmen ihr bis heute nicht wenige übel. Denn wie viele Mädchen in ihren Jugendzimmern wussten wohl 1990, dass nicht Miss Ciccone, sondern schwarze Queers diesen Modetanz erfunden haben?
Geliefert hat sie
Madonna reibt uns die Widersprüche unserer Zeit unter die Nase wie keine zweite Künstlerin. Die gleiche Gesellschaft, die ihre Stars jung und schön will, lässt sich hämisch über Madonnas gestrafftes Gesicht und ihre stählernen Oberarme aus. Absurd ist das: Wir verlangen von unseren Ikonen Disziplin und Perfektion – und beginnen sie zu hassen, wenn man den Stressschweiß riecht.
Heute lebt Madonna, der Weltstar aus Michigan, in Portugal. Ob sie nach ihren eher selbstreferentiellen letzten Alben demnächst eine Fado-Platte aufnimmt? Wir wissen es nicht.
Geliefert hat sie jedenfalls genug. Der Popliterat Andreas Neumeister stellte einmal fest: „Im Idealfall ist Pop subversiv. Im Idealfall ist Pop populär. Im Idealfall ist Pop populär und subversiv zugleich. […] Im Idealfall tritt der Idealfall tatsächlich ein.“ Madonna hatte viele Idealfallmomente. Deshalb bin ich ihr nicht böse für ihren Verrat: Mögen sie und ihre Erbinnen noch viele Mädchen bezaubern und enttäuschen.
16 Aug 2018
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