taz.de -- Kroatien trifft auf Russland: Diesmal also kleinkariert

Bei der Mannschaft um die Stars Rakitić und Modrić ist einiges anders als in den Jahren zuvor. Aber manchmal tauchen alte Probleme wieder auf.
Bild: Die Fans hängen an den alten Trikots, auch „Küchenhandtuch“ genannt

Die kroatische Sensation im Vorrundenspiel gegen Argentinien war nicht der Sieg. Der schon auch. Aber sensationeller war das Trikot. Normalerweise erkennt man die Kroaten an ihren komplett rot-weiß karierten Trikotoberteilen, gern auch Schachbrett oder Küchenhandtuch genannt. Bei dieser WM aber spielen sie seit dem Argentinien-Spiel in dunkelblauen Shirts, auf denen das Schachbrett nur auf der Brust, allerdings in Blau und Schwarz gedruckt ist, sodass es nur bei besonders günstigem Lichteinfall zu erkennen ist.

Für Insider eine Sensation, denn die Kroaten sind äußerst patriotische Gesellen, die, wo es nur geht, ihr Schachbrett zur Schau stellen. Hingen zu jugoslawischen Zeiten in allen Wohn- und Bürostuben, in allen Supermärkten und Gaststätten Bilder von Tito über der Eingangstür oder der Fleischtheke, hängt dort heute das Nationalwappen.

Deutet sich also nun mit dem Verstecken des Schachbretts eine neue kroatische Zurückhaltung an? Beruhigt sich der irre Adria-Patriotismus endlich? Allein die Trainerfigur könnte darauf hindeuten.

Der 51-jährige Zlatko Dalić ist erst seit Oktober Nationaltrainer und ein unbeschriebenes Blatt im Vergleich zu den großen Namen seines Kaders. Er ist keine weltweit bekannte Trainerlegende wie Ćiro Blažević und auch keine nationale Legende wie Slaven Bilić. Dalić hat in Split und Mostar ein bisschen Fußball gespielt und in eher unscheinbaren Stationen wie Rijeka, Tirana, Koprivnica, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als Trainer gearbeitet.

Passend dazu hat Dalić den ehemaligen Bayern-Star Ivica Olić zu seinem Co-Trainer gemacht, der diese Funktion bisher noch nicht mal bei irgendeinem Ackerverein im dalmatinischen Hinterland hatte. Äußerst selten nur sieht man Dalić stehend am Spielfeldrand. Meistens sitzt er unauffällig, leise und nägelkauend auf der Bank. Wenn er in Mikros und Kameras sprechen muss, wirkt er scheu wie ein Reh. Umso erstaunlicher war es, dass er vor dem Spiel gegen Argentinien seinen Stürmer Nikola Kalinić nach Hause schickte. Der hatte eine Einwechslung wegen Rückenschmerzen verweigert.

Der Trainer setzt auf soziale Intelligenz, auf Kollegialität, auf Teamfähigkeit – und nicht nur auf das unumstrittene individuelle Können seiner Stars. Auch das nationalhysterische Patriotentum, von dem trotz kokainhafter Rock-’n’-Rolligkeit auch ein Slaven Bilić voll und ganz überzeugt war, ist Dalić offenbar fremd. Und trotzdem ist mit ihm noch kein ganz neuer Ton gefunden. Weder auf dem Spielfeld noch in der Kabine.

Modrić und Lovren stehen unter Druck

[1][Nach dem Sieg gegen Argentinien] tauchte ein Video des Innenverteidigers Dejan Lovren auf, das er in der Kabine gefilmt hatte und in dem zu hören ist, wie Lieder des rechtsradikalen Sängers Thompson gesungen werden. Und auf dem Feld war im Achtelfinale gegen Dänemark das alte Muster kroatischer Kleinkariertheit zu sehen: Sie unterschätzen den Gegner, überschätzen sich selbst, glauben, dass das Spiel von allein läuft – was es dann aber nicht tut, weil der Gegner mitunter auch was kann.

Und dann läuft alles ganz schnell aus dem Ruder. Die Ordnung im Mittelfeld ist dahin, die Abwehr löst sich auf, die Offensive greift sich nur noch an den Kopf. Die Bälle werden irgendwohin gedonnert, Hauptsache, weg. Es regiert der Frust und nicht das Können.

Dass dieses Team was kann, ist unbestritten. Allein das Superduo Ivan Rakitić (FC Barcelona) und Luka Modrić (Real Madrid), das unermüdlich Räume öffnet und Bälle abholt und wegbringt, ist eine Augenweide. Dazu die Einsätze des jungen Wilden Ante Rebić (Eintracht Frankfurt), des Weltklasse-Torwarts Danijel Subašić (AS Monaco) und des sowieso irren Torjägers Mario Mandžukić (Juventus Turin).

Modrić und Lovren stehen bei dieser WM aber noch unter ganz anderem Druck. Ihnen drohen Haftstrafen in dem bizarren Mafiaskandal rund um Zdravko Mamić, den ehemaligen Chef des kroatischen Fußballverbands und Boss von Dinamo Zagreb. Anfang Juni wurde Mamić zu einer Haftstrafe von mehr als sechs Jahren verurteilt und floh nach Bosnien-Herzegowina. In dem Verfahren geht es auch um die Ablösesummen von Modrić und Lovren, um Meineid, Betrug, Untreue und Geldwäsche. Aber nun – erst mal abwarten, was die WM noch so bringt.

Als die Kroaten am 4. Juli 1998 Deutschland mit 3:0 besiegten und ins WM-Halbfinale einzogen, wurden bei den Freudenfeiern in der geteilten Stadt Mostar eine 25-Jährige und ein 67-Jähriger von Kroaten erschossen. Man kann nur hoffen, dass die Siegesfeier diesmal friedlicher ausfällt, sollten die Kroaten zum zweiten Mal in ihrer Geschichte ins Halbfinale kommen.

7 Jul 2018

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AUTOREN

Doris Akrap

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