taz.de -- UBA-Studie zu Stickoxid-Belastung: Tausende Tote, eine Million Kranke
Das Umweltbundesamt rechnet vor: Jährlich gibt es 6.000 Tote und eine Million Krankheitsfälle durch das Reizgas Stickoxid. Es sieht Handlungsbedarf.
Berlin taz | In der Debatte um [1][Fahrverbote für Diesel-Pkw] hat das Umweltbundesamt (UBA) die Gefährlichkeit von Stickstoffdioxid (NOx) für die menschliche Gesundheit betont. Die Behörde legte am Donnerstag zum ersten Mal eine [2][Studie] über die Gesundheitsbelastung in Deutschland durch das Reizgas vor. Demnach führte die NOx-Belastung der Atemluft im Jahr 2014 zu jährlich mindestens 6.000 Todesfällen und jeweils etwa 440.000 Erkrankungen mit Diabetes und Asthma. Heute sei von ähnlichen Zahlen auszugehen.
„Unsere Studie zeigt, wie sehr Stickstoffdioxid der Gesundheit in Deutschland schadet“, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger bei der Präsentation der Studie. „Über eine Million Krankheitsfälle jährlich gehen auf die Stickstoffdioxid-Belastung zurück. Wir sollten alles unternehmen, damit unsere Luft sauber und gesund ist.“
Für die Untersuchung haben das Helmholtz-Zentrum München und das IVU-Institut die Studien zur Gesundheitsbelastung durch NOx neu ausgewertet. Die Ergebnisse sind konservativ gerechnet, denn sie berücksichtigen nur die tägliche Hintergrundbelastung und keine Spitzenwerte, nur bekannte Krankheitsbilder und lassen niedrige Belastungen mit NOx außer Acht.
Trotzdem gebe es eine deutliche Verbindung von NOx-Belastung mit Krankheiten wie Diabetes, Schlaganfall, Bluthochdruck, chronischer Lungenerkrankung (COPD) und Asthma. Wenn man „Hotspots“ wie Großstädte berücksichtige, sei die „Krankheitslast um bis zu 50 Prozent erhöht“, heißt es – die Dunkelziffer von Todesfällen und Erkrankungen sei also hoch. Insgesamt sinke die NOx-Belastung in der Luft seit Jahren, überschreite aber immer noch häufig die Grenzwerte. Dafür sei der Pkw-Verkehr „eine bedeutende Ursache “, sagte Krautzberger.
UBA: NOx-Problem bleibt bestehen
Mit dieser Studie widerspricht das UBA der Deutung, das NOx-Problem sei kleiner als behauptet und werde sich mit der Zeit von selbst erledigen. Seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu möglichen Fahrverboten vom 27. Februar hatten Politiker und Industrievertreter immer wieder versucht, das Problem kleinzureden. [3][Schon der Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte 2017 mit den Stimmen von Union und SPD behauptet, es gebe „keine wissenschaftlich erwiesenen Zahlen“ zu Todesfällen und „keine toxikologisch bedenklichen NO2-Werte“ in Deutschland]. Opposition und Wissenschaftler hatten damals heftig protestiert.
Auch UBA-Präsidentin Krautzberger widerspricht jetzt: „Das ist traurig, da wurden offenbar die Studien nicht gelesen“, sagt sie. Der Rückgang der Belastung reiche noch lange nicht aus. Möglicherweise gebe es von der Weltgesundheitsorganisation WHO demnächst auch noch schärfere Grenzwerte.
Bei der UBA-Untersuchung handle es sich um eine epidemiologische Studie, also um eine Untersuchung des Risikos für die Bevölkerung, nicht einen Überblick über einzelne Fälle. „Diese Studien ermöglichen keine Aussage über ursächliche Beziehungen“, betonte das UBA, „liefern jedoch zahlreiche konsistente Ergebnisse über die Zusammenhänge zwischen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und NO2-Belastungen.“
Krautzberger sagte, das Stickoxid-Problem sei „eines von vielen Problemen des Verkehrs“. Dazu kämen noch die Belastungen durch Feinstaub (etwa 40.000 Tote im Jahr), Lärm oder Flächenverbrauch. Als Gegenmaßnahme müsse der Individualverkehr in den Innenstädten reduziert werden. „Wir müssen den Verkehr zivilisieren“, sagte Krautzberger.
8 Mar 2018
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