taz.de -- Kuriosität der Operngeschichte: Verklemmter Samenstau

Die Deutsche Oper Berlin hat eine vergessene Oper von Erich Wolfgang Korngold ausgegraben. Sehr schöne Musik, aber dieser Text! Grauslich.
Bild: Besser zu hören als zu verstehen: Szene aus „Das Wunder der Heliane“

Am Ende sind alle tot. Das ist in der Oper nicht ungewöhnlich. Zwar wird dort das Sterben gern mit großen Arien künstlich verlängert, aber irgendwann ist dann doch Schluss, Vorhang. Hier aber nicht.

Chor und Statisten liegen schon längst auf der Bühne herum, vom Schicksal dahingerafft. Auch das Zentralpaar ist tot, singt aber dennoch weiter. Es nimmt kein Ende, immer wieder fällt ein Vorhang und geht doch wieder hoch, weil noch einmal gesagt werden muss, dass die wahre Liebe erst nach dem Tod anfängt. Deswegen hat sich der Liebhaber schon im zweiten Akt von „Das Wunder der Heliane“ selbst erstochen. Die Frau weckt ihn im dritten Akt wieder auf, nur um sich dafür vom Ehemann erdolchen zu lassen. So erst können die beiden ihr Schlussduett einer christlich gemeinten Erlösung anstimmen, mausetot eigentlich, aber gerade darum in einem wahren Schaumbad süßesten Wohlklangs schwimmend.

Heiliger Bimbam! Viele Opern leiden an ihren schlechten Textbüchern. Ein so unfassbar schlechtes wie dieses hat es jedoch kaum je auf die Bühne gebracht. Ein frustrierter König verbietet seinem Volk das Lachen und das Vögeln, aus der Fremde kommt ein Erlöser, der sofort eingesperrt und zum Tode verurteilt wird. In der Nacht vor der Hinrichtung kommt die Königin in die Zelle, zieht sich splitternackt aus, lässt ihn dann aber doch nicht ran, weswegen es danach zwei Akte lang um die Frage geht, ob sie nun eine Hure oder eine Heilige sei.

Nach Hollywood, weg von den Nazis

Wahrscheinlich wie immer beides, und Christof Loy, der Regisseur, ist ein wahrer Held der Demut vor dem Kunstwerk, das er und sein Dirigent Marc Albrecht trotz allem in diesem Stück zu erkennen glauben.

Es ist 1927 an der Hamburger Staatsoper uraufgeführt worden. Mit wenig Erfolg zwar, doch Erich Wolfgang Korngold war ein damals sehr geschätzter, überall gespielter Komponist von Opern, Liedern, Kammer- und Orchestermusik. Er war österreichischer Jude, floh vor den Nazis nach Hollywood, wo er dann als Chefkomponist bei Warner Brothers Maßstäbe der Filmmusik setzte, die bis heute stilprägend sind. Diese Karriere hat ihn nach dem Krieg zum zweiten Mal aus Deutschlands Kulturleben vertrieben, weil die Moderne jetzt auch den musikalischen Kahlschlag forderte und das Komponieren tonaler Orchestermusik für ein Verbrechen hielt.

Natürlich ist das dummes Zeug, und es lohnt sich sehr wohl, genau hinzuhören. Das ist nicht schwer, denn Korngold ist ein Meister der Farben und Melodien. Das Adjektiv „sinnlich“ wäre eine Untertreibung für diese Musik, die mit sehr genau ausbalancierten, manchmal minutiös kleinteiligen, filigranen Instrumentalstimmen, dann wieder mit laut schmetternden Akkordwänden immer nur versucht, die Schönheit des menschlichen Gesangs zu feiern.

Schwelgen im Klang

Das ist oft verführerisch, aber manchmal auch ermüdend vorhersehbar, weil Korngold die Kraft fehlt, große, dramatische Spannungsbögen aufzubauen. Sein Schwelgen im Klang kann den Text nicht gestalten, nur untermalen und gestisch nachahmen.

Das ist in diesem Fall ein Verhängnis. Der Text, den Korngold tatsächlich vertont hat, stammt zwar von Hans Müller-Einigen, einem professionellen Allzweckliteraten, der unter anderem Libretti für Oscar Straus und Ralph Benatzky schrieb. Aber er beruht auf dem Stück „Die Heilige“ des 1919 im Alter von 24 Jahren verstorbenen Lyrikers Hans Kaltneker. Das Manuskript mit dem Untertitel „Mysterium für Musik“ ist heute verschollen. Der ständig kranke, hauptsächlich in Kurhäusern lebende junge Mann fantasierte sich eine Religion herbei, in der die christliche Sünde des Geschlechts die wahre Erlösung sein sollte.

Korngold hatte zuvor schon Gedichte von Kaltneker vertont, was ihn aber an dieser pubertären, literarisch überaus dürftigen Vision gereizt hat, kann auch Loy nicht erklären. Der Musik zuliebe verzichtet er glücklicherweise auf jeden Versuch, irgendetwas davon zu retten oder gar zu aktualisieren.

Wortlaut des Unsinns

Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat ihm einen holzgetäfelten, trüben Saal gebaut, bei Bedarf mit hartem Neonlicht an der Decke ausleuchtbar. Einsam steht in der Mitte ein Tisch. In dem leeren Raum darum herum müssen sich nun Sara Jakubiak, Josef Wagner und Brian Jagde bemühen, Kaltnekers verklemmten Samenstau irgendwie über die Rampe zu bringen.

Das gelingt ihnen natürlich nicht, weil es nichts gibt, worüber sich auch nur reden ließe, aber es ist wunderbar, ihnen dabei zu zuhören. Sie singen schlichtweg großartig, sicher getragen von Marc Albrecht und dem Orchester der Deutschen Oper. Mutig stellen sie sich dem Wortlaut des Unsinns, und Sara Jakubiak lässt sogar tatsächlich ihre Robe fallen, wie es im Textbuch steht.

Sie kann es sich leisten, weil nicht nur ihre Stimme schön ist, retten kann aber auch sie dieses Stück nicht. So gab es am Sonntag hoch verdienten, stürmischen Applaus für meisterhaften Gesang und eine paradox vollendete Inszenierung eines Werkes, das von Anfang an gescheitert war. Unvergesslich!

21 Mar 2018

AUTOREN

Niklaus Hablützel

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