taz.de -- Kolumne Macht: Der Fall Weinstein(s)
So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt –, wird sich gar nichts ändern.
Macht, wie umfassend sie auch zu sein scheint, ist stets bedroht. Das Leben des einst einflussreichsten Filmproduzenten von Hollywood hat sich binnen weniger Tage [1][in ein Trümmerfeld verwandelt]. Die von Harvey Weinstein selbst gegründete Produktionsfirma hat ihn gefeuert, seine Ehefrau hat ihn verlassen, seine Anwältin ihr Mandat niedergelegt. Wer ihm noch gestern huldigte, kann sich jetzt nicht schnell genug von ihm distanzieren. Freunde scheint der Mann nicht zu haben.
Die Zahl der Frauen, die ein Verhaltensmuster von Weinstein beschreiben, das in sexuelle Übergriffe, Nötigung und sogar Vergewaltigung mündete, ist hoch. Allzu hoch, als dass der gesunde Menschenverstand noch Zweifel am Prinzip erlaubte, selbst wenn der Beschuldigte nicht – wie geschehen – zumindest eine Teilschuld eingeräumt hätte.
Es ist wahr: Die Unschuldsvermutung hat bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten, selbstverständlich auch für den Hollywood-Mogul. Aber entgegen einer weit verbreiteten Annahme sind es eben nicht nur Gerichte, die über die Plausibilität von Vorwürfen zu entscheiden haben.
Es geht ja gar nicht immer um strafrechtlich relevante Tatbestände. Leider. Theoretisch ist es möglich, dass Harvey Weinstein angeklagt und verurteilt wird, allerdings wird dies beim gegenwärtigen Stand der Dinge von Fachleuten für eher unwahrscheinlich gehalten. Was ein grelles Licht auf die geringe Bedeutung wirft, die in den USA – und bekanntlich nicht nur dort – sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen beigemessen wird.
Wenn Mächtige fallen
Wenn Mächtige fallen, dann ist das fast immer mit der Verheißung auf neue, bessere Zeiten verbunden. Nun ist also zu lesen, Hollywood sei aufgewacht. Die Zeiten, in denen ein Mann wie Harvey Weinstein nichts zu befürchten gehabt habe, seien endgültig vorbei. Man schreibe das Jahr 2017. Letzteres ist unbestreitbar zutreffend, alles andere eher unwahrscheinlich.
„Alle wußten, was Harvey tat, und niemand hat etwas dagegen unternommen“, schreibt die französische Filmschauspielerin Léa Seydoux, die berichtet, dass sie selbst sich mit Gewalt gegen Weinstein habe zur Wehr setzen müssen. Andere Frauen schildern, wie sie sich mit Selbstvorwürfen quälten und sich mitschuldig fühlten. Vielleicht hätten sie sich nicht genug gewehrt, vielleicht habe ihr Peiniger wirklich angenommen, sie seien mit seinem Vorgehen einverstanden gewesen. Eine klassische Reaktion von Opfern sexueller Gewalt. Glaubt irgend jemand wirklich, damit werde es nun ein Ende haben? Träumt weiter.
Offensichtlich hat Harvey Weinstein schon vor den Enthüllungen an Einfluss in der Filmindustrie verloren und Gegner gehabt, die ihrerseits mächtig waren. Er war angezählt. Aber viele derjenigen, die sich jetzt von ihm abwenden, finden es zugleich falsch und ungerecht, dass Star-Regisseur Roman Polanski nicht in die USA einreisen kann, weil ihm dort ein Prozeß wegen der Vergewaltigung Minderjähriger droht. Seltsam widersprüchliche Moral. Und Donald Trump ist zum Präsidenten der USA gewählt worden, obwohl ein Tonbandmitschnitt schon vor der Wahl zeigte, dass er ein ähnliches Verhalten für normal und angemessen hielt wie der Filmproduzent.
Übrigens haben ihm auch und gerade republikanische Frauen das nicht übel genommen. „So sind Männer halt“ – es gibt wohl niemanden, der diesen Satz, begleitet von einem wohlwollend-nachsichtigen Lächeln, noch nie gehört hat. Ja, manche sind offenbar so. Aber sie dürfen nicht so sein.
So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf augenzwinkerndes Verständnis treffen – es sei denn, sie werden von Migranten verübt -, so lange wird sich gar nichts ändern. Weder in Hollywood noch sonstwo. Aber ein bißchen nachhelfen lässt sich. Gesetzesänderungen, die eine strafrechtliche Verfolgung von Männern wie Harvey Weinstein erzwingen würden, wären ein schöner Anfang.
13 Oct 2017
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