taz.de -- Pro & Contra Ehe zu dritt: Verliebt, verliebt, verliebt, verheiratet

Erstmals wurde eine Dreier-Ehe in Kolumbien geschlossen. Fortschritt oder falsch verstandene Toleranz?
Bild: Just married: die drei Ehegatten in Medellín, Kolumbien

Alles zu erlauben, ist falsch!

Drei verliebte Männer mit ineinander verschlungenen Händen und glücklichen Gesichtern – natürlich ist die Ehe von Manuel Bermúdez, Víctor Hugo Prada und Alejandro Rodríguez herzerwärmend fortschrittlich. Allein schon deshalb, weil es alle Erzkonservativen ungemein ärgert, dass so etwas in irgendeinem Staat der Erde überhaupt erlaubt ist, möchte man sich mitfreuen.

Doch [1][die erstmals geschlossene und anerkannte Dreier-Ehe in Kolumbien] ist keineswegs der Beginn eines neuen Zeitalters, das die Unterdrückung unkonventioneller Liebesbeziehungen abstreift wie einen zu eng gewordenen Schnürschuh. Nicht alle, die diese Eheform in Anspruch nehmen würden, wären Liebende aus dem queeren Milieu oder andere progressiv gesinnte Menschen.

Ein Gesetz, das Ehen zwischen mehr als zwei PartnerInnen erlaubt, gilt für alle – auch für jene, die meinen, ein traditionelles oder religiöses Anrecht auf mehr als eine Frau zu haben. Die Gattin ist schon etwas faltig? Na, dann arrangiert mann sich eben noch eine zweite, jüngere Ehefrau. Natürlich aus Liebe! Und die beiden Angetrauten – oder auch drei oder vier – können sich sogar Hausarbeit und Kinderbetreuung teilen. Wo ist das Problem?

„Anything goes“, soll doch jeder heiraten, wen er will – das klingt wunderbar liberal und nach einem Vorgeschmack auf die gelebte Utopie. Es funktioniert als progressives Modell in einer egalitären Gesellschaft. Doch die Möglichkeit der Vielehe öffnet auch Tür und Tor für Ausbeutung, Unterdrückung und noch mehr Männermacht im Hier und Heute.

Zusammenleben kann ja ohnehin jeder, mit wie vielen auch immer. Zur Monogamie ist niemand gezwungen, auch dort nicht, wo die – allseits überschätzte – Ehe zwei Menschen vorbehalten ist. Aber staatlicherseits alles zu erlauben und keine Tabus mehr aufzustellen, ist falsch verstandene Toleranz.

Silke Mertins

Warum die Zweierbeziehung privilegieren?

Polygamie für alle, oder was? Angesichts der harten Kämpfe, die Frauen in manchen muslimischen Ländern ausfechten, um die Polygamie abzuschaffen, wirkt die Ehe zu dritt, zu viert oder zu fünft, wie sie in Kolumbien nun anerkannt wurde, erst einmal höchst befremdlich. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen beidem: die Machtverhältnisse.

Die einen sind Frauen, die in jüngsten Jahren, von ihren Eltern vermittelt oder genötigt, als Zweit- oder Drittfrau verheiratet werden. Sie können sich vielleicht de jure wieder scheiden lassen, de facto haben viele von ihnen als geschiedene, alleinstehende Frau keine Existenzmöglichkeit. Sie sind in einer Zwangslage. In einer solchen Situation die Machtlosen durch ein Gesetz zu schützen, ergibt Sinn.

Anders ist es, wenn es Wahlmöglichkeiten gibt. Wenn Menschen, die sich eine Ehe zu dritt oder viert zugetraut haben, sie auch wieder verlassen können, ohne dass ihnen sozialer Tod und finanzieller Ruin droht. Gegen solche Ehen ist eigentlich überhaupt nichts einzuwenden, im Gegenteil: Wenn wir schon „Ehe für alle“ wollen, wie etwa die SPD, warum dann bei der Zweierkonstellation bleiben?

Wer sich etwa zu dritt ein Kind gebastelt hat und auch gemeinsam Verantwortung tragen will, ist eine Familie und sollte als solche abgesichert werden. Auskünfte und Entscheidungen im Notfall sind oft an die Ehe gebunden, Renten, Sozialleistungen, Ehegattensplitting und, und, und. Und wenn mehrere Menschen füreinander Verantwortung übernehmen wollen, und zwar dauerhaft (was sie mit der Heirat kundtun), dann sollten sie Zugang zu all diesen Privilegien bekommen. Es gibt schlicht keinen Grund, die Zweierbeziehung vorzuziehen.

Die Zeit, in der die klassische Ehe den Fortbestand der Art sicherte, ist vorbei. Andere Beziehungsformen entwickeln sich, andere Formen, Kinder zu haben. Die Politik sollte darauf reagieren: Ehe für wirklich alle!

Heide Oestreich

Auf die Ehe können generell wir verzichten!

Drei Männer sind in Kolumbien „den Bund fürs Leben“ eingegangen. Man sieht: Pathos liegt in der Luft, sobald es um die Ehe geht. Die sogar ein Sakrament ist, sofern man Katholik und ein Paar aus Mann und Frau – bis dass der Tod euch scheide – ist. Und wenn das dann nicht genau so abläuft, mit Mann und Frau und für immer und ewig, dann droht nach Meinung konservativer Bürger*innen und Politiker*innen wie auch der katholischen Kirche gleich der Untergang des Abendlandes.

Als ob es jemals so gelaufen wäre. Als ob der Kampf um die Ehe in dieser Form nicht der ewig erfolglose Kampf wäre, den die römisch-katholische Kirche bis heute führt. Denn die Menschen wollen alles: wahre Liebe, guten Sex und rechtliche Sicherheit. Um sie vor allem geht es in der Ehe, weil es um Geld, Besitz und Erbe geht, darum, einen Hausstand zu gründen.

Deswegen war den armen und den abhängig arbeitenden Leuten die Ehe die meiste Zeit verboten. Wo käme man auch hin, wenn grundsätzlich alle Besitz erwerben und vererben könnten?! Genau: in Kapitalismus und Konsumgesellschaft. Da dürfen jetzt alle heiraten. Ein wirkliches Stück Emanzipation. Zu der es auch gehört, dass keiner mehr heiraten muss, um einen Hausstand zu gründen, der freilich juristisch schlechter gestellt ist. Man kann dann Kinder haben oder nicht, hetero oder schwul und lesbisch sein, miteinander Sex haben oder mit anderen, man kann einander lieben und andere dazu.

All das wird von Staat und Gesellschaft nicht wirklich sanktioniert. Nur innerhalb der Ehe. Für den konservativen Block ist die Ehe ein Deal – Sicherheit gegen Wohlverhalten. Er sagt: Wenn alles in ihr seinen Platz haben könne, zum Beispiel drei Männer und Treue, dann sei es mit der heiligen Ehe vorbei.

Auf die können wir verzichten. Auf die rechtliche Absicherung des Hausstands nicht.

Brigitte Werneburg

13 Jun 2017

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