taz.de -- Trans* in der Bundeswehr: Bedingt vielfaltsbereit

Die Bundeswehr verspricht ihren Rektrut*innen Vielfalt und ein tolerantes Umfeld. Doch bisher haben sich kaum trans* Menschen geoutet.
Bild: Statistisch müsste es rund 1.300 Trans* bei der Bundeswehr geben

Berlin taz | Sie hat jetzt einen Busen, aber ihre Haare müssen kürzer als fünf Zentimeter sein. Erst ab Mai darf Chelsea Manning sie wachsen lassen. Denn dann wird die Ex-Soldatin vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Präsident Obama hat als eine seiner letzten Amtshandlungen verfügt, [1][dass sie freigelassen wird]. Die 29-Jährige sitzt in Kansas ein, weil sie der Plattform WikiLeaks 700.000 geheime Dokumente zugespielt hat. Damals war sie im Irak stationiert und hieß noch Bradley. Sie wurde mit männlichen Geschlechtsteilen geboren, fühlt sich aber weiblich.

Die Whistleblowerin, die sich am Tag nach dem Urteil als Chelsea outete, muss ihre Strafe in einem Männer-Militärgefängnis absitzen. Monatelang sperrten die Wärter sie in Isolationshaft. Nach mehreren Suizidversuchen, einem Hungerstreik und einer Klage durch den Bürgerrechtsverein ACLU darf sie nun Hormone nehmen, die die Army bezahlt.

Manning profitiert von einer neuen Rechtslage: Seit Juli 2016 gilt „Don't ask, don't tell“ beim Thema Transgender* nicht mehr: Soldat*innen müssen ihre sexuelle Identität nicht länger geheim halten. Außerdem sind die USA das 19. Land weltweit, in dem bereits geoutete trans* Menschen den Streitkräften beitreten dürfen. Die Armed Forces finanzieren medizinische Behandlungen sowieso und zählen ab jetzt geschlechtsangleichende Maßnahmen dazu.

Wie wäre es Manning bei der Bundeswehr ergangen? Hätte sie sich als Fallschirmjägerin bewerben können? Auf einem U-Boot dienen? Zum Oberstleutnant aufsteigen?

Trans* bei der Bundeswehr

„Die Akzeptanz bei Vorgesetzten und Mitarbeitern innerhalb der Bundeswehr ist für dieses Thema vorhanden“, sagt Anastasia Biefang. Sie ist Oberstleutnant im Generalstab und berät transgender Militärs für den Arbeitskreis homosexueller Angehöriger der Bundeswehr. Trans* Bundeswehrangehörige fragen sie häufig, ob sie überhaupt weiter dienen können.

Im Januar veröffentlichte das Magazin der Bundeswehr ein ausführliches Porträt von Biefang, weil in ihrem Truppenausweis früher mal ein männlicher Vorname stand. In dem Artikel steht, dass Biefang bei der Luftwaffe Karriere gemacht hat und nach fast 20 Jahren ins Verteidigungsministerium wechselte.

Mittlerweile möchte Biefang nicht mehr über private Details sprechen. Das Porträt verbreitete sich weit über die Bundeswehr hinaus, zahlreiche Boulevardmedien berichteten über Biefang. Der Artikel ist Teil einer Offensive, die zu größerer Toleranz und vor allem zu einer größeren Truppe führen soll. Denn der Armee fehlt Nachwuchs.

„Gott bewahre!“

Ob die Offensive erfolgreich ist, kann niemand so recht sagen. Dem Arbeitskreis gehören drei trans* Militärs an, Biefang hat insgesamt von 30 gehört. Die Bundeswehr schreibt, ihr müssten theoretisch 1.300 trans* Menschen angehören, weil etwa 0,5 Prozent der Deutschen trans* seien und man sich „auf in externen Studien für die Gesamtbevölkerung ermittelte Werte stützen“ könne.

„Mir ist bislang nur Frau Biefang bekannt“, sagt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf die Frage nach trans* Menschen in der Truppe. Ob Bundeswehr und Ministerium das irgendwo vermerken? „Gott bewahre!“, antwortet die Sprecherin, „wir fragen so was nicht ab, das gehört zur Privatsphäre.“ Sexuelle Identität habe schließlich nichts mit Wehrtauglichkeit zu tun.

Sehen das die Amtsärzt*innen genauso? Darf zum Beispiel dienen, wer Brustimplantate hat oder eine Penisprothese? Kann sich jemand als Mann mustern lassen, der eine Vagina hat und nicht plant, das zu ändern? Auf diese Fragen hin kramt die Sprecherin eine Weile in ihren Akten. Dann verspricht sie Recherche und Rückmeldung.

Workshop mit von der Leyen

Anastasia Biefang steht stramm, und mit ihr knapp 200 Soldat*innen in Ausgehuniform: Krawatte, schmal geschnittene Dienstjacke und Hose oder Rock. Ihre oberste Vorgesetzte, Ursula von der Leyen, hat soeben den großen Saal eines Veranstaltungshauses in Berlin Mitte betreten. Von der Leyens Publikum an diesem Tag Anfang Januar ist eigentlich ganz divers, zumindest für die Bundeswehr.

Viele LGBTQ* Menschen sind hier, um von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung zu berichten. Die Verteidigungsministerin eröffnet einen Workshop, bei dem militärische Führungskräfte lernen sollen, wie sie mit der „sexuellen Orientierung und Identität“ ihrer Untergebenen umgehen sollen. „Sex-Seminar bei der Bundeswehr“, hat [2][die Bild getitelt].

Von der Leyen steigt auf das Podium und stellt sich vor die Leinwand. Auf der ist das Eiserne Kreuz, das Hoheitszeichen der Bundeswehr, in Regenbogenfarben abgebildet.

Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion

Wenige Tage ist es her, dass sadistische Rituale und sexuelle Gewalt eine schwäbische Kaserne in die Schlagzeilen brachten. „Diese Tagung planen wir seit über einem halben Jahr, aber die aktuellen Ereignisse in Pfullendorf haben gezeigt, dass, wie wir miteinander in der Bundeswehr umgehen, kein Randthema ist“, sagt die Ministerin.

Sie spricht so, wie sie immer spricht: gleichmäßig betonend, ernst und distanziert. Aber sie reißt die Augen auf und schüttelt den Kopf, als sie sagt: „Wir wollen diese Menschen nicht in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit zwingen.“ Dann zählt von der Leyen auf, was ihr Ministerium für „Angehörige sexueller Minderheiten“ tut, etwa den Ausbau des Stabselements Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion. Dort gibt es seit Anfang Februar eine Hotline, um Diskriminierung zu melden. Sie könnte vor allem denen helfen, die sich nicht trauen, Übergriffe auf dem direkten Weg beim Wehrbeauftragten anzuzeigen.

Der schreibt in seinem Jahresbericht von 131 Fällen, in denen Truppenmitglieder verdächtigt wurden, „gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ verstoßen zu haben, schränkt aber ein: „Die tatsächliche Zahl sexuell motivierter Übergriffe dürfte höher liegen.“ In zwei der 131 Fälle ging es um trans* Menschen, so der Wehrbeauftragte auf Anfrage der taz. Eine Person habe sich über „Diskriminierung aufgrund Transsexualität“ beschwert, eine andere habe viele „Fehltage wg. Transsexualität“ angehäuft, weswegen ihre Dienstzeitverlängerung abgelehnt worden sei. Man habe aber einen Kompromiss gefunden.

Dienstvorschrift 46/1

Die Angestellten im Büro des Wehrbeauftragten rechnen damit, dass es in den kommenden Jahren mehr solcher Fälle geben wird. Zum einen werden transgender* Militärs ermutigt, sich zu melden, wenn sie diskriminiert werden. Zum anderen geht das Büro davon aus, dass immer mehr trans* Menschen dienen.

Amtsärzt*innen beurteilen Bewerber nach der Zentralen Dienstvorschrift 46/1. Eigentlich: Die Bundeswehr arbeitet gerade daran, diese zu ersetzen. In der Dienstvorschrift steht die „Störung der Geschlechtsdifferenzierung (z.B. AGS, Zwitter) oder -identität“ auf der allerletzten Seite unter „Unberücksichtigte Auffälligkeiten“. Trans* Menschen, Menschen mit adrenogenitalem Syndrom und andere inter* Menschen werden nicht nur mit veralteten Begriffen belegt und in einen Topf geworfen, sondern auch, gemeinsam mit Analphabet*innen, als dienstunfähig eingestuft.

Die Vorschrift werde so nicht mehr berücksichtigt, versichert das Verteidigungsministerium. Die Sprecherin hat sich einige Wochen lang umgehört. Das Ergebnis ihrer Recherche sei, sinngemäß, dass jede*r gemustert werden könne, egal wie es zwischen den Beinen aussieht. Besonderheiten an den Geschlechtsteilen seien nur dann ein Einstellungshindernis, wenn sie „das Tragen der persönlichen Ausrüstung und der Uniform“ beeinträchtigen oder den „unbehinderten Bewegungsablauf“ und die „volle Entfaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit“ unmöglich machen.

Trans* ist kein Problem. Eigentlich

Theoretisch ist es also kein Problem, als trans* Mensch zu dienen. Anastasia Biefang vermutet, dass sich eine gesellschaftliche Entwicklung in der Truppe widerspiegelt, „eine neue Qualität des Umgangs und Offenheit mit sexueller Vielfalt und geschlechtlicher Identität“. Ob diese neue Qualität aber in die unteren Ränge durchgesickert ist, wo selbst Homosexuelle noch über Diskriminierung klagen, lässt sich schwer beantworten. Ob die theoretisch 1.300 Trans* vor dem Coming-Out zurückschrecken, sich gar nicht erst bewerben oder nicht eingestellt werden, bleibt ebenfalls unklar.

Barack Obama hat das Strafmaß für Chelsea Manning von 35 auf 7 Jahre reduziert. Begnadigt hat er sie nicht. Das heißt: Sie kommt zwar in wenigen Monaten frei, aber das Militär entlässt sie unehrenhaft. Sie wird nicht versichert sein, im Gegensatz zu anderen Veteran*innen keine Rente erhalten und keinen Anspruch auf medizinische Weiterbehandlung haben.

Sie muss ihre OP und die Nachsorge selbst bezahlen. Der neue Präsident Donald Trump hat sie vor Kurzem als Verräterin beschimpft und gesagt, sie hätte nie freigelassen werden sollen. Zurücknehmen kann er Obamas Entscheidung nicht.

14 Mar 2017

LINKS

[1] /Begnadigung-der-Whistleblowerin/!5372942
[2] http://www.bild.de/politik/inland/ursula-von-der-leyen/empoerung-ueber-sex-seminar-der-bundeswehr-49751662.bild.html

AUTOREN

Jana Anzlinger

TAGS

Lesestück Recherche und Reportage
Bundeswehr
Transgender
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Bundeswehr
Bundeswehr
Bundeswehr
Lesestück Recherche und Reportage
Transgender
Schwerpunkt Rassismus
James Mattis
Chelsea Manning
Schwerpunkt Rechter Terror
Lesestück Interview
Pfullendorf
Bundeswehr
Schwerpunkt Rassismus
Transgender
Transgender
Chelsea Manning

ARTIKEL ZUM THEMA

Biefang legt Verfassungsbeschwerde ein: trans Soldatin geht nach Karlsruhe

Ihr Tinder-Profil eckte bei der Bundeswehr an. Jetzt klagt die pansexuelle Kommandeurin gegen den gerichtlich bestätigten Verweis.

trans* Personen in der Bundeswehr: Wer darf Soldat:in werden?

Werden trans* Menschen bei der Bewerbung für die Bundeswehr benachteiligt? Das legen interne Dokumente zur Musterung nahe.

Schwule und Lesben in der Bundeswehr: LGBT-Verein beklagt Diskriminierung

Der „Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr“ fordert Diversity-Beauftragte in der Armee. Homosexualität sei noch immer tabuisiert.

Diskriminierung bei der Polizei: Keine Chance für den Transmann

Wer als Mann zur Bundespolizei will, braucht funktionsfähige Hoden. Warum genau? Joschua Thuir will es wissen.

Transsexualität im Wahlkampf: Das Warten auf Öffentlichkeit

Das Transsexuellengesetz ist seit Jahren reformbedürftig – doch passiert ist nichts. Auch bei der Wahl spielt das Thema keine Rolle.

Begnadigung von Ex-Sheriff Joe Arpaio: Trump ruft zu den Waffen

Er signalisiert seinen reaktionärsten Wählern, dass sie ab jetzt freie Hand haben. Die Unabhängigkeit der Gerichte tritt er mit Füßen.

Transgender im US-Militär: Diskriminierung für Trumps Basis

Präsident Trump verkündet, Transgender würden nicht mehr im Militärdienst geduldet. Hinter der folgenlosen Ankündigung stecken andere Motive.

Freilassung von Wikileaks-Informantin: Ab Mittwoch Chelsea

Nach Angaben der American Civil Liberties Union kommt Chelsea Manning am Mittwoch frei. Sie war 2010 als Armee-Whistleblowerin bekannt geworden.

Bundeswehrsoldat festgenommen: Das doppelte Spiel

Ein Soldat wird unter Terrorverdacht festgenommen. Er hatte sich als Syrer registriert, um mit einem Anschlag Flüchtlinge zu diskreditieren.

Psychiater über trans* Kinder: „Raum für verwirrende Gefühle“

Martin Fuchs berät Kinder und Jugendliche, die sich in ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen. Er plädiert dafür, Unsicherheiten zuzulassen.

Bundeswehr-Skandal in Pfullendorf: Kriminologe Pfeiffer soll aufklären

Der Verteidigungsausschuss berät am Mittwoch über den Bericht des Generalinspekteurs. Der Kriminologe Christian Pfeiffer soll die Hintergründe untersuchen.

Skandale bei der Bundeswehr: Ein Macho-Musterungscheck muss her

Eklige Rituale in Pfullendorf, monatelanger Missbrauch in Bayern und jetzt ein unbestrafter Grabsch-Soldat: Hat der Wehrbeauftragte versagt?

Soziale Herkunft, Hautfarbe, Gender: Auch Diskriminierung ist vielfältig

Das Ende rigider Geschlechternormen und nie wieder die Frage: „Woher kommst du wirklich?“ – Aus dem Leben von Menschen, die Ideen für eine Veränderung haben.

„Vogue Paris“-Cover mit trans* Model: Schön und trans*

Die französische „Vogue“ zeigt Valentina Sampaio auf dem Cover. Erstmals ist damit ein trans* Model auf dem Titel. Ein überfälliger Schritt.

Hassverbrechen gegen Trans*Personen: Belästigt, attackiert, getötet

Nicht nur in den Vereinigten Staaten werden Trans*Personen regelmäßig Opfer von Gewalttaten – bis hin zum Mord.

Begnadigung der Whistleblowerin: Freiheit für Manning

Chelsea Manning sollte 35 Jahre hinter Gitter, weil sie Militärdaten leakte. Sie wurde begnadigt – wie über 200 weitere Personen.