taz.de -- Sanktionen der EU gegen Polen: Erstmal in Ruhe abwarten

Polen verbiegt den Rechtsstaat, sagt die EU-Kommission. Sie hat Empfehlungen für die Regierung, das Land behält aber sein Stimmrecht im EU-Ministerrat.
Bild: Polnische Bürger demonstrieren gegen die Maßnahmen der rechten PiS-Regierung

Brüssel taz | Im Streit um die Angriffe der polnischen Regierung auf den Rechtsstaat und die Demokratie spielt die EU-Kommission weiter auf Zeit. Nach einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung verzichtete die Brüsseler Behörde am Mittwoch auf die so genannte „Nuklearoption“, also einen Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat.

„Wir haben entschieden, zusätzliche Empfehlungen an die polnische Regierung zu schicken“, sagte der für den Fall zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans. Die Regierung in Warschau habe zwei Monate Zeit, darauf zu reagieren. Sollte sie nicht einlenken, müsse man auch über Artikel 7 nachdenken, so der Niederländer.

Nach Artikel 7 des EU-Vertrags kann das Stimmrecht bei einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ der europäischen Werte ausgesetzt werden. Dazu ist allerdings ein einstimmiger Beschluss aller EU-Staaten nötig. Ungarn hat bereits angekündigt, dass es ein Veto einlegen würde. Auch Deutschland hat vor einem forschen Vorgehen gewarnt.

So wurde der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) zurückgepfiffen. Als das so genannte Rechtsstaats-Verfahren der EU vor einem Jahr begann, forderte Oettinger noch, Polen „unter Aufsicht“ zu stellen. Dem widersprachen jedoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Kampf ums Vefassungsgericht

Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte zu Geduld. Er glaube nicht, dass es zu Strafmaßnahmen kommen werde, sagte er schon vor zwölf Monaten. Zwischenzeitlich hat sich die Lage in Polen aber verschärft.

So hat die rechtskonservative Regierung Julia Przylebska, eine von den regierenden PiS-Partei gewählte Richterin, zur Interimsvorsitzenden des Verfassungsgerichts ernannt. Unter ihrem Vorsitz dürfen nun auch drei nachträglich von den Nationalkonservativen gewählte Richter an Urteilen mitwirken – das Gericht wurde „auf Linie“ gebracht.

Die Ernennung Przylebskas sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, sagte Timmermans, die Rechtsstaatlichkeit in Polen sei in Gefahr. „Die EU beruht auf dem Respekt für die Regeln, die wir uns gemeinsam gegeben haben“, warnte er. Die Erfahrungen der letzten 12 Monate stimmten ihn nicht optimistisch.

Auf die Frage, weshalb er noch nicht die „Nuklearoption“ gezogen habe, antwortete Timmermans. „Wenn wir weitere Schritte unternehmen würden, bräuchten wir politische Unterstützung im Rat und im Europaparlament“. Die EU-Kommission gibt den Schwarzen Peter an die Politiker weiter – die haben aber genug andere Sorgen.

22 Dec 2016

AUTOREN

Eric Bonse

TAGS

EU-Ausschuss
EU-Kommission
Polen
Brüssel
Demokratie
Sanktionen
EU-Regelungen
Polen
Jarosław Kaczyński
Polen
EU-Ausschuss
antimuslimischer Rassismus
Polen
Polen
Polen

ARTIKEL ZUM THEMA

Merkels Besuch in Polen: Kampf um Freiheit nicht verlieren

Polens Regierungschefin will in der Migrations- und Verteidigungpolitik eng kooperieren. Die Kanzlerin jedoch findet eher unkooperative Worte.

YouTube-Serie über polnische Regierung: Im Büro des Vorsitzenden

Die Mini-Serie „Ucho Prezesa“ nimmt den PiS-Chef Jarosław Kaczyński auf die Schippe. Sie bleibt dabei allerdings ein wenig zu zahm.

Kommentar Rechtsstaatlichkeit in Polen: Ein Sieg der Opposition

Die rechtskonservative polnische PiS-Regierung muss sich warm anziehen. Der Druck kommt von innen und von außen.

Neues Haus des Europäischen Rates: Ein „dickes Ei“ für Europa

Zum neuen Jahr ist das neue Haus fertig, in dem Europas Regierungschefs tagen werden. Es sollte wie eine Laterne aussehen, gleicht aber eher einem Ei.

Fremdenfeindlicher Protest in Polen: 200 Randalierer stürmen Kebabladen

Nach der Messerattacke eines Restaurantangestellten gegen einen 21-Jährigen stürmen 200 Demonstranten das Geschäft. 28 Personen werden festgenommen.

Kommentar Proteste in Polen: Rasanter Abbau der Demokratie

Polens rechtsnationale Regierung stilisiert sich nach Protesten zum Opfer von Umsturzversuchen. Dabei ist sie es, die die Bervölkerung terrorisiert.

Polnischer Journalist über Pressefreiheit: „Die Leute wollen freie Medien“

Der beim polnischen Fernsehen geschasste Korrespondent Marcin Antosiewicz sagt, warum er den Protest unterstützt.

Proteste gegen Mediengesetz in Polen: Demonstranten blockieren Sejm

Vor dem und im Parlament protestieren Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung. Diese schießt verbal heftig zurück.