taz.de -- Polnischer Journalist über Pressefreiheit: „Die Leute wollen freie Medien“

Der beim polnischen Fernsehen geschasste Korrespondent Marcin Antosiewicz sagt, warum er den Protest unterstützt.
Bild: Demonstration für Informationsfreiheit vor dem polnischen Parlament in Warschau

taz: Herr Antosiewicz, Sie haben Samstagnacht vor dem Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, demonstriert. Warum?

Marcin Antosiewicz: Die Medienfreiheit war und ist in unmittelbarer Gefahr. Ich bekam Freitagabend immer mehr Informationen über Twitter und Facebook, dass im Sejm die Journalisten ausgesperrt wurden. Die Opposition hatte die Rednertribüne und die Bank des Parlamentsvorsitzenden, besetzt. Den Journalisten wurden ihre Akkreditierungen abgenommen. Ich bin sofort hin, um mehr zu erfahren, aber auch um selbst für die Medienfreiheit in Polen zu demonstrieren.

Wie lange haben Sie ausgeharrt?

Von 21 Uhr am Freitag bis 2 Uhr früh am Samstagmorgen. Es war eiskalt.

Wie war die Atmosphäre?

Es waren sehr viele junge Leute gekommen. Das machte Mut und es erfüllte mich auch mit Stolz. Denn zu den bisherigen Demonstrationen waren – abgesehen vom Schwarzen Marsch der Frauen – fast nur ältere Polen gekommen. Aber es geht um die Informationsfreiheit von uns allen. Die Leute wollen freie Medien haben, egal wen sie gewählt haben. Auch die PiS-Wähler wollen freie Medien haben.

Wurde die Pressefreiheit in Polen nicht schon mit dem kleinen Mediengesetz eingeschränkt?

Doch. Die Recht und Gerechtigkeit (PiS) brachte kurz nach der Regierungsübernahme die öffentlich-rechtlichen Medien auf Parteilinie, warf alle Journalisten hinaus, die nicht bereit waren, die Parteipropaganda als angeblich objektive Nachrichten zu verbreiten. Jetzt traut dieser Partei kaum noch jemand gute Absichten zu, wenn es um die Medienfreiheit geht.

Welche Auswirkungen könnte der neue Beschluss haben?

Ich befürchte, dass die PiS demnächst selbstherrlich entscheiden wird, welche Journalisten eine Akkreditierung für das Parlament bekommen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass es nur parteikonforme Reporter sein werden. Dann hätte die Opposition im Parlament keine Stimme mehr. Zudem könnte der Parlamentsvorsitzende jederzeit die Videokameras ausschalten lassen, wenn im Parlament etwas geschieht, was er nicht so gerne zeigen möchte. Es gäbe keine Informationsfreiheit mehr. Der Souverän könnte sich keine Meinung mehr bilden, da die Partei – also die PiS – ein Informationsmonopol aufgebaut hätte. Zwar würden dann sicher Abgeordnete und Wähler alles daran setzen, um uns freie Journalisten mit Handyvideos, Bildern und Berichten zu versorgen, doch das ist nicht zu vergleichen mit einer normalen, professionellen Berichterstattung.

18 Dec 2016

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Gabriele Lesser

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