taz.de -- Häusliche Gewalt in Niedersachsen: „Ein Platzverweis nützt nichts“
Immer mehr Frauen zeigen häusliche Gewalt an. Effektiv geschützt werden sie nicht und viele Frauenhäuser sind überfüllt. 9.000 Frauen pro Jahr werden abgewiesen
taz: Frau Rohles, wächst die häusliche Gewalt oder wird sie nur öfter angezeigt?
Birte Rohles: Vielleicht beides. Aber das können wir nur vermuten, weil die letzte bundesweite Dunkelfeldstudie von 2004 stammt. Ihr zufolge wurde jede vierte Frau einmal im Leben Opfer häuslicher Gewalt. Sicher ist aber, dass die Anzeigebereitschaft steigt.
Warum?
Weil das Thema „Gewalt an Frauen“ in den letzten Jahren mehr Öffentlichkeit erfährt. Und weil es inzwischen ein bundesweites Hilfetelefon gibt, wo Frauen schneller Hilfe finden und ermutigt werden, Anzeige zu erstatten.
Wie ist „häusliche Gewalt“ definiert?
In der Polizeistatistik bislang in jedem Bundesland unterschiedlich, denn es gibt keinen Straftatbestand „häusliche Gewalt“. Sie umfasst vielmehr verschiedene Straftatbestände: Körperverletzung, Vergewaltigung, Stalking, Bedrohung.
Wer übt häusliche Gewalt aus?
Meist die Partner oder Ex-Partner. Meist Männer, denn 82 Prozent der Opfer sind Frauen. Wenn Kinder ihren Eltern Gewalt antun, zählt es teils auch zur häuslichen Gewalt.
Ist auch psychische häusliche Gewalt ein Straftatbestand?
Diese Gewaltform anzuzeigen, ist für Frauen immer ein Problem, weil das nicht unbedingt Straftaten sind – und außerdem schwer nachweisbar. Bedrohung oder Stalking kann eine Frau aber auf jeden Fall anzeigen.
Oft hört man, dass Polizisten Anzeigen psychischer Gewalt nicht ernst nehmen.
Wir haben den Eindruck, dass seit Einführung des Gewaltschutzgesetzes 2002 bei der Polizei ein Sinneswandel stattgefunden hat. Dass Polizisten besser geschult, Betroffene auf Hilfemöglichkeiten hingewiesen werden. Trotzdem berichten uns Frauen, dass sie nicht ernst genommen werden.
Und wenn die Polizei dem potenziellen Täter einen Platzverweis ausspricht: Reicht das?
Bei hoch gefährlichen Tätern, die Gewalt ausüben wollen, nützt ein Platzverweis gar nichts. Die Mittel der Polizei sind leider begrenzt.
Welche braucht man?
Wenn es sich um hoch gefährliche Täter handelt – und 60 Prozent von ihnen sind polizeibekannt –, müsste man überlegen, sie in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das juristisch schwierig ist.
Einen bloß angedrohten Mord kann man nicht bestrafen.
Das ist das Problem: Wenn die Frau die einzige Zeugin ist und die Drohung mündlich ausgesprochen wurde, ist sie schwer nachzuweisen.
Schützt die Polizei die bedrohte Frau?
Auch da müsste es mehr Möglichkeiten geben. Ein Personenschutz ist personell nicht möglich, aber bei einer Morddrohung wäre er angebracht. Derzeit bleibt nur die Flucht in ein Frauenhaus.
Gibt es genug Frauenhäuser?
Nein. Wir haben knapp 400 Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen in Deutschland, aber es werden immer wieder Frauen abgewiesen. Frauen mit Behinderung etwa finden in nicht barrierefreien Frauenhäusern oft keinen Platz. Auch für die Betreuung von Frauen mit Suchtproblematik reicht das Personal oft nicht. So kommt es, dass jährlich rund 9.000 Frauen abgewiesen werden, während 34.000 Frauen und Kinder Platz finden. Rund ein Viertel geht also leer aus.
Wie gefährlich leben Frauen, die keinen Platz finden?
Es ist lebensgefährlich. Aktuelle Statistiken zeigen, dass im Jahr 2015 deutschlandweit 331 Frauen im Zuge häuslicher Gewalt umgebracht wurden. Das ist fast eine Frau pro Tag.
Trotzdem gilt häusliche Gewalt noch als Kavaliersdelikt?
Ich habe den Eindruck. Ich war kürzlich in einer Radiosendung zum Thema. Einige der zugeschalteten Zuhörer haben versucht, das Verhalten der Täter zu erklären. Sie argumentierten damit, dass die Männer sich nicht anders zu helfen wüssten, weil sie den Frauen sprachlich unterlegen seien. So wurde wieder versucht, den Frauen die Schuld für die Gewalt zu geben. Es wird immer noch versucht, das Verhalten der Täter zu erklären, statt ganz klar zu sagen, dass Gewalt auf keinen Fall geht.
25 Nov 2016
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