taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Talking about my next generation

Mein Sohn darf nun zum ersten Mal wählen. Aber wenn es ganz dumm läuft, wird er künftig immer seltener die Wahl haben.
Bild: Ein zugefrorener Nordpol im Sommer? Keine Option mehr

Es war an einem Sonntagmorgen, kurz nach acht, vor genau achtzehn Jahren. Mit einem schlafenden Säugling vor der Brust betrat ich mein Wahllokal in Berlin-Kreuzberg. Als ich in die Wahlkabine wollte, um Helmut Kohl in Pension zu schicken, stoppte mich der Wahlleiter: „So können Sie da nicht rein“. – „Wieso?“, fragte ich. Er deutete auf mein Tragetuch: „Sie müssen allein die Wahlkabine!“ Ich war verdattert. „Der Knabe ist fünf Tage alt. Der verrät bestimmt niemandem, wen ich wähle.“ – „Tut mir leid“, sagte der Wahlvorstand. „So sind die Vorschriften.“

Nun ja. Die Vorschriften waren dann doch flexibel. Ich hatte dem korrekten Beamten vorgeschlagen, er könne ja meinen jetzt schlafenden und gleich furchtbar kreischenden Sohn im Arm halten, während ich meiner Bürgerpflicht nachkam.

Und nun ist eben dieser Sohn gerade volljährig geworden und kann/darf/muss am Sonntag zum ersten Mal bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus seine Stimme abgeben. Er hat noch Fragen, wie das mit der Erst-, Zweit- und Drittstimme funktioniert – also das, was auch sonst keiner kapiert.

Man darf als Vater oder Mutter schon mal sentimental werden, wenn die eigenen Kinder erwachsen werden. Ich empfinde es eher als Entlastung: Ab jetzt, liebe nächste Generation, hängt ihr auch mit drin! Wir haben uns zwei Jahrzehnte lang damit abgeplagt, in eurem Sinne zu handeln und zu denken.

„Enkelgerecht“? Es trifft uns doch schon viel früher

Die Bundesregierung übersetzt das Monsterwort „nachhaltig“ gern mal durch „enkelgerecht“. Das ist eine Generation zu weit gedacht. Wir sind ja die erste Generation, die diesen Planeten wirklich versauen oder für die Zukunft sichern kann. Aber unsere (Nicht-)Entscheidungen werden nicht erst unsere Kindeskinder ausbaden. Das trifft schon die Generation, die hier und jetzt am Frühstückstisch quengelt, sie wolle mit dem Auto in die Schule gebracht werden.

Der Klimawandel nimmt gerade rasant Fahrt auf und muss in den nächsten 20 Jahren deutlich gebremst werden, das Artensterben am besten schon gestern; ob Megastädte wie Guangzhou oder Mumbai einigermaßen verträglich wachsen oder zur Smoghölle werden, entscheidet sich in den nächsten paar Jahren. Werden Armut und Umweltvernichtung nicht bald gemeinsam bekämpft, können wir die „nachhaltigen Entwicklungsziele“ der UNO in der Pfeife rauchen. Die Menschheit müsste eben endlich mal die Pubertät hinter sich lassen.

2050 klingt beruhigend weit weg, um sich große Ziele zu setzen: den weltweiten Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl, ein atomares Endlager, eine grüne Weltwirtschaft, ein Flughafen für Berlin. Aber bis 2050 sind es nur noch 34 Jahre – und ich kann mich noch gut erinnern, wie die Welt 1982 aussah. Im Jahr 2050 werde ich 85 sein oder schon die Radieschen mit meinen Kohlenstoffatomen düngen.

Es geht darum, euren Arsch zu retten

Aber meine Kinder werden 52, 49 und 46 Jahre alt sein. Also genau in dem Alter, um ihre eigene Wahl zu treffen oder sich zur Wahl zu stellen. Dann entscheidet eine Generation, die sich heute – siehe Brexit – wundert, dass Wahlen schiefgehen können, wenn man nicht hingeht. Und eine Generation, die deutlich weniger Wahlmöglichkeiten haben wird als wir heute, weil manche Optionen für immer verschwinden: eine Pflanze, die Alzheimer heilt, ein erträglicher Meeresspiegel, ein zugefrorener Nordpol im Sommer.

Also, Kinder und NeuwählerInnen: willkommen in der Realität! Es geht hier nicht um uns. Sondern darum, euren Arsch zu retten. Wir freuen uns auf eure Stimmen. Und auf eine spannende Debatte über das Post-Erwachstum.

18 Sep 2016

AUTOREN

Bernhard Pötter

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