taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Weg ist das Ziel

Spurlos verschwinden Dinge. Wer Kinder hat, fragt nicht mehr, wo Socken sind. Genau besehen ist es mit Superreichen und Millionen ähnlich.
Bild: Hier können leicht mal ein paar Millionen verloren gehen

Bald wird es morgens wieder frisch auf dem Fahrrad. „Wo sind eigentlich die Handschuhe?“, frage ich, über die Schublade im Flur gebeugt. „Die sind weg“, sagt meine Tochter. Sie hat aber gerade keine Zeit für Diskussionen. Sie muss zur Schule und sucht ihr Sportzeug. Das ist auch weg. Der Jüngste geht gerade ohne Schlüssel aus dem Haus. „Der ist irgendwie weg.“ Und unser großer Sohn schreit aus seinem Zimmer: „Papa, hast du mal ein weißes T-Shirt? Meine sind alle verschwunden.“

Seit wir mit Kindern leben, sind Dinge einfach: weg. Früher haben wir noch verzweifelt nach ihnen gefahndet: Die Babysocken, der Schnuller, o Gott, wo sind sie? Seit die Kinder alt genug zum Suchen sind, ist „weg“ beim Nachwuchs eine akzeptierte Ortsangabe geworden: Wo ist das Fahrrad? Weg. Ach ja. Ja und? Gehe ich eben zu Fuß.

Kerstin Kohlenberg und Wolfgang Uchatius sind zwei Kollegen von der Zeit.Sie wollten sich in der Finanzkrise 2008 nicht mit der Antwort „weg“ zufrieden geben. Es ging um die Frage, wo eigentlich bitteschön die 2.800 Milliarden Dollar geblieben sind, die im Crash angeblich „verschwunden“, „verdampft“, „verbrannt“ sind. Ihre Recherche führt zu Banken, Immobilienhaien und Investmentfonds. Das offiziell als vermisst gemeldete Geld verstecke sich auf den Konten der Immobilienwirtschaft, in den Boni der Bankster und den Aktienkäufen von Silvio Berlusconi und Warren Buffett, die von den abgestürzten Kursen profitierten, schreiben sie. Dem Text merkt man an, dass er aufwändig recherchiert wurde.

So soll Wirtschaftsjournalismus sein. Aber die Kollegen hätten es auch einfacher haben können: Im Bürosessel zurücklehnen, die Füße auf den Schreibtisch legen und meine Lieblingsbeilage der Financial Times lesen: Die mit dem grandiosen und unverschämten Titel „How to spend it“.

Die Erlösung für gequälte Kleinmillionäre

Das fette Magazin hat die Ausmaße eines Autoatlas und riesige Hochglanzfotos, bei denen man nie sicher ist, ob das schon die Prada-Werbung oder noch der Artikel über den letzten Schrei der Anzugmode ist. Ist auch egal. „How to spend it“ ist die Erlösung für gequälte Kleinmillionäre, die wissen müssen, wie man das viele Geld jetzt am besten und stilvollsten wieder loswird. Und es beantwortet auch die Frage, die wir unseren Kindern immer stellen: „Wie jetzt: Es ist weg?“

Blättern wir durch HTSI, sehen wir, wo das Vermögen gelandet ist: Bei Raulederschuhen für 700 Euro. Bei einer Armbanduhr von Chanel für 25.000 Euro. Bei Krawattennadeln, die nicht nur überflüssig, sondern auch noch scheußlich sind und 18.650 britische Pfund kosten. Bei Einstecktüchlein zum Discounterpreis von nur 65 Pfund. Dazu überall echte Kerle, die ihre Mittagspause beim Edelschneider verbringen, in Kampfjets sitzen oder auf Segelbooten in den Seilen hängen. Frauen tauchen eigentlich nur als Dekolletés auf, in das der Mann Geschmeide vom Wert eines kleinen Eigenheims zu hängen hat. Aber halt, da ist doch eine: Sie stöckelt zum Privatflieger der Firma „Netjets“, mit deren 700 Privatjets sich die globale Elite der Geldausgeber zum Morgenmeeting nach Mumbai fliegen lässt.

Es ist kein Sozialneid, sondern eher Mitleid mit der sonst hoch geschätzten Financial Times, wo kritischer Journalismus betrieben wird. Aber kein Wunder bei einer Leserschaft, die solche doppelseitigen Anzeigen genießt: Y.CO, eine Firma zur Vermietung von mehr als 1000 Motoryachten – „Die Preise beginnen bei 30.000 Euro die Woche“. Wo ist das Geld? Mehr „weg“ als hier geht nicht.

Oder doch? Der Immobilienmarkt im Indischen Ozean boomt, lesen wir im 32-seitigen „Property Special“: Die Malediven sind schwer im Kommen: Hotels mit einem Weinkeller mit 7.000 Flaschen Wein, Zimmer für 34.035 Dollar die Nacht. Der neue Trend: Eine „Overwater Villa“, ein Schlafzimmer, 3 Millionen Dollar Kaufpreis.

Moment, die Malediven? Sind das nicht die Inseln, die demnächst untergehen, wo die Regierung schon mal Asyl für ihre Klimaflüchtlinge sucht? Da ist eine Overwater Villa natürlich die Lösung. Die Preise werden schneller steigen als der Meeresspiegel. Bis irgendwann auch dieses Geld dann wirklich weg ist.

1 Oct 2016

AUTOREN

Bernhard Pötter

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