taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Zusammengeklaubt aus den 80ern
Anspielungen sind schön – eigene Ideen wären schöner. Die Netflix-Serie „Stranger Things“ zitiert etliche Klassiker, aber das reicht nicht.
Auf meinem Wohnzimmerregal steht E. T. mit blonder Perücke, Perlenkette und Handtasche überm Handgelenk und umarmt einen Steinbrocken, der aussieht wie ein zehnmal so großes E.-T.- Fossil. Dieses aufgegabelte Urgestein (ich weiß schon gar nicht mehr, wo) könnte genauso gut von einem Meteor stammen, der zufällig auf die Erde transportiert wurde, weil er an der Unterseite eines Ufo klebte.
Vielleicht liegt es an E. T., dass ich auf den ersten Blick dachte, die Horror-Science Fiction-Serie „Stranger Things“, die seit Juli auf Netflix zu sehen ist, sei eine Produktion von Steven Spielberg (wie, der macht jetzt Serien? Tut er nicht!). Drei kleine Jungs rasen im Trailer auf BMX-Rädern über waldige Straßen von Suburbia, sie haben Zahnlücken, spielen „Dungeons & Dragons“ und kommunizieren mit Walkie-Talkies. Aber ganz so niedlich und unschuldig ist am Ende alles gar nicht. Die erste Staffel schwenkt immer mehr von „E. T.“ zu „Alien“.
Nach einer Rollenspiel-Session mit seinen Freunden Lucas, Dustin und Mike verschwindet Will Byers in der Nähe einer geheimen Forschungsanlage der Regierung und wird nach Einmischung diverser Agenten für tot erklärt. Doch nicht alle glauben daran, dass seine Leiche tatsächlich gefunden wurde. Wills Mutter Joyce, gespielt von Winona Ryder (ja, sie war in „Alien 4“ Ripleys Sidekick und ja, sie macht jetzt Serien!), glaubt, ihn in der Wand zu hören, der abgegessene Chef der Polizei Jim Hopper (David Harbour) glaubt ihr – mit der Zeit.
Im Wald begegnen die Freunde einem Mädchen mit telekinetischen Kräften und Versuchslabor-Tattoo. „Eleven“, kurz „El“, scheint zu wissen, dass Will sich versteckt, weil da noch ganz anderes in nächster Nähe lauert. Die Regierung hat das Tor zu einer Unterwelt-Paralleldimension geöffnet. Verfolgungsjagden zwischen Männern in Anzügen und Kindern auf Rädern folgen.
Die anfängliche Spielberg-Verwechslung liegt am inflationären Gebrauch von Anspielungen auf gefühlt jeden Abenteuer-, Horror und Science-Fiction-Film der 1970er und 80er. „Close Encounters of the Third Kind“, „Stand By Me“, „Halloween“ und „Alien“ sind nur die populärsten davon. Für die Anspielungen sind die Macher (who the fuck are The Duffer Brothers?) seit Erscheinen der Serie ordentlich gefeiert worden. Eigentlich ist dieses Lob aber ein rückwärtsgewandtes – nämlich an die Vorlagen.
Ja, die Serie ist kurzweilig, ihre acht Folgen haben das richtige Timing, die rot auf schwarze Titelsequenz mit Synthesizer untermalte Musik schafft ein unmittelbares Gefühl von 80er-Jahre-Ästhetik. Allerdings sind die Plots und Bilder so sehr an ihren Vorbildern orientiert, dass sie vorhersehbar werden (Beispiel: Natürlich trägt Mikes kleine Schwester die Zöpfe so wie einst Drew Barrymore in „E. T.“).
Das lässt sich einigermaßen ignorieren. Eine seriöse Hommage aber müsste selbst originell sein, statt Kameraeinstellungen zu wählen, die mehr Kopie sind als Zitat. So bedient sich die Serie auch in der jüngeren Filmgeschichte: bei „Under the Skin“ von 2013 etwa, dessen Visualisierung telepathischer Kontakte in einem schwarzen Nichtraum eins zu eins übertragen wird. Fazit: Stranger Things have happened. And more original ones, too.
31 Aug 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In „Ready Player One“ schickt Spielberg seine Helden in den Wettstreit mit Großkonzernen. Das Setting erinnert an Videospielwelten der achtziger Jahre.
Die 80er-Jahre sind wieder zurück: Eine sympathische Jungsgang sieht sich erneut mit paranormalen Phänomenen konfrontiert.
Die App bestimmt das Leben. In der ersten Folge der neuen Staffel von „Black Mirror“ bewertet Lacie Pound Interaktionen mit Mitmenschen.
Ein schwer traumatisierter schüchterner Held mit Brille und Augenzucken: „Luke Cage“ macht das SuperheldInnen-Genre sexier.
„Will and Grace“-Revival: Die Serienstars aus den Neunzigern machen Wahlkampf für Hillary Clinton. Eine Neuauflage gibt es aber nicht.
Das Buch „The Girls“ und die Serie „Aquarius“: Wer die Schauergeschichte um Charles Manson nutzt, bekommt viel Geld dafür.
Hierzulande sind Sportdokus oft nur lange Werbefilme. Wie es besser geht, zeigt die Serie „Last Chance U“ über ein College-Football-Team in den USA.
Die Serie „The Girlfriend Experience“ hätte das Zeug zu einer innovativen Heldinnengeschichte. Stattdessen verschenkt sie ihr Potenzial.
Kinder stehen auf Animationsserien. Häufig sind die nicht mehr als Dauerwerbesendungen. „Star Wars“ ist dagegen eine angenehme Ausnahme.
Sie hat uns beigebracht, Fan zu sein: „Gilmore Girls“, die beste Serie über Familien, seit es Serien gibt, kommt bald zurück – ein Grund zur Freude.
Aus Film mach Serie? Yeah! Aus Serie mach Film? Nun ja. Kommt darauf an, ob wir über „Absolutely Fabulous“ oder „Sex and the City“ reden.