taz.de -- Stressfreier kiffen in Bremen: Weniger Verfolgung wagen
In Bremen unternimmt die rot-grüne Regierungskoalition einen Vorstoß für die kontrollierte Abgabe von Cannabis und weniger Repression für Kiffer.
BREMEN taz | Bremen will zum Vorreiter einer liberalen Cannabis-Politik in Deutschland werden – auch wenn das Land selbst rechtlich wenig Möglichkeiten dazu hat. Dennoch haben die rot-grünen Parlamentsfraktionen am Montag einen entsprechenden Antrag auf den Weg gebracht. Im April soll er von der Bürgerschaft beschlossen werden.
SPD und Grüne würden Cannabis gerne staatlich kontrolliert an Erwachsene in Bremen abgeben. Aber das Bundesrecht verhindert das – selbst wenn es im Rahmen eines wissenschaftlichen Modellversuches geschieht. Einen solchen hatten die Koalitionäre in ihrem Regierungsprogramm zwar verabredet. Aber er müsste vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) genehmigt werden. Daran war vergangenes Jahr ein ähnliches Vorhaben in Berlin gescheitert.
Das BfArM sei nicht gewillt, seinen „Ermessensspielraum“ zu nutzen, um derlei Modellversuche zu ermöglichen, sagte der Drogenpolitiker der Grünen, Wilko Zicht. „Und wir können sie gerichtlich auch nicht dazu zwingen.“ Deswegen wollen SPD und Grüne jetzt mit Hilfe einer Bundesratsinitiative eine entsprechende Novelle des Betäubungsmittelrechts anstoßen. Bis es soweit kommt, vielleicht nach der nächsten Bundestagswahl, soll der Senat aber schon mal das Konzept für ein Modellprojekt erarbeiten – das Bremen dann gleich aus der Schublade ziehen könnte.
Verfolgung teurer als Prävention
Dabei soll auch errechnet werden, welche Mehreinnahmen in Bremen durch eine kontrollierte Cannabis-Abgabe zu erwarten seien. Diese Geld soll dann für Präventionsmaßnahmen ausgegeben werden. Derzeit würden neun Mal mehr Mittel für die Strafverfolgung von Kiffern als für Suchtvermeidung und ‑bekämpfung ausgegeben, so die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther.
Gerade hier sieht Zicht noch „erhebliche Spielräume“ für eine liberale Drogenpolitik auf Landesebene. Etwa wenn es um die Frage geht, was als „geringe Menge“ für den Eigenbedarf noch straffrei bleiben kann. In Bremen seien das derzeit sechs Gramm Haschisch, in Nordrhein-Westfalen zehn und in Berlin sogar 15 Gramm, so Zicht.
Rot-Grün setzt hier aber entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes auf eine länderübergreifende Vereinheitlichung. Zugleich soll auch der Anbau von Cannabis in geringen Mengen straffrei bleiben. Wer zu Hause „zwei, drei Pflanzen“ für den Eigenbedarf züchtet und von Minderjährigen fern hält, der solle „einigermaßen sicher sein“, so Zicht.
Polizei für Dringlicheres freistellen
In der Vergangenheit fiel die Bremer Polizei immer wieder durch Razzien in örtlichen Cannabisplantagen auf. Rot-Grün wolle Polizei und Justiz „für dringlichere Aufgaben“ freistellen, so Zicht. Und so solle auch die Führerscheinstelle „die Kiffer in Ruhe lassen“, so lange die nicht berauscht Auto fahren.
„Alle Möglichkeiten“ für eine liberalere Handhabung des Cannabiskonsums von Erwachsenen auf Landesebene sollen ausgeschöpft werden, heißt es in dem rot-grünen Antrag. Dazu gehört auch die Idee, dass KonsumentInnen Cannabis testen lassen können, „um sie vor gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen und Verunreinigungen zu schützen und aufzuklären“, wie es in dem Antrag heißt.
„Wir wollen Cannabis nicht verharmlosen“, so Zicht – aber ein Verbot halte die Menschen nicht vom Kiffen ab. „Es ist nicht wirksam“, so SPD-Gesundheitspolitikerin Stephanie Dehne und die postulierte generalpräventive Wirkung „gibt es nicht“. Dennoch hat sich auch die Bremer SPD lange schwer getan mit weniger repressiver Drogenpolitik. „Die SPD ist noch nicht so weit wie die Grünen“, so Dehne.
14 Mar 2016
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Lüder Fasche von der Bremer Gewerkschaft der Polizei hat den Grünen-Politiker Wilko Zicht zur „Persona non grata“ erklärt – und disqualifiziert sich damit selbst.
Thomas Schremmer (Grüne) will ein Modellprojekt für den Verkauf von Cannabis, kommt aber gegen die SPD nicht an. Bleibt ihm nur, Bremen zu bejubeln.
Polizei und Staatsanwaltschaft in Bremen präsentieren Ermittlungserfolg gegen mutmaßliche Drogendealer. Sechs Männer sitzen in U-Haft, auch mutmaßliche Drahtzieher
Kurz vor der Sommerpause teilt Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) ihrer Partei mit, dass sie gern in den Bundestag will. Das sorgt für Unruhe.
Der Bremer Ableger des „Global Marijuana March“ findet gut gelaunt und mit prominenten Gästen am Hot Spot der Legalisierungsdebatte statt
Bremens Drogenpolitik soll gelockert werden, beschließt die Bürgerschaft. Der Hanfverband ist entzückt, die CDU hingegen eher weniger.
Der Bundesgesundheitsminister will Kranken Medizinalhanf künftig auf Rezept verordnen. Den Eigenanbau lehnt er ab.
Es ist ein wegweisendes Grundsatzurteil: Schwerkranken darf nicht mehr prinzipiell der Hanfanbau für die Selbsttherapie verboten werden.
Kontroverse im Bremer taz-Salon zur Cannabis-Politik: Skeptiker und Befürworter debattierten über Risiken und Chancen einer Freigabe.
Aktivist Hubey kämpft für die Legalisierung von Cannabis. In Bremen betreibt er einen Versand für ambitionierte Hobbygärtner.
Kiffen hilft dabei, Bezüge zu entdecken und den richtigen Ton zu treffen. Beim Noch-mal-Drüberlesen setzt dann die Ernüchterung ein.
Der Kriminologe Henning Schmidt-Semisch erklärt, warum die Drogen-Prohibition gescheitert ist und warum Verbote die Gefahr von Rauschmitteln erhöhen.
Bei einer Expertenanhörung zum Umgang mit Cannabis überwiegen zunächst im Haus der Bügerschaft die kritischen Stimmen.
Die Wohnung eines der Angeklagten im „Valentin“-Prozess wird erneut durchsucht. Sein Anwalt sagt: Das ist ein Einschüchterungsversuch
Berlins Modellversuch für die kontrollierte Cannabis-Abgabe wurde kassiert. Darüber, was das für Hamburg und Bremen heißt, herrscht Uneinigkeit.
Berliner SPD will im Herbst die Basis über das Wahlprogramm 2016 abstimmen lassen – auch darüber, ob Kiffen legalisiert werden soll.
Hamburgs grüner Justizsenator Till Steffen über überfüllte Gerichte, leere Gefängnisse, seine Rolle als grüner Retter der Gefahrengebiete und „Hasch für alle“.
Strikte Regeln zum Cannabis-Konsum bescheren Strafverfolgern viel Arbeit und hohe Kosten. Einige Landesregierungen werben für mehr Toleranz.
Bremen will sich bei dem geplanten Projekt zur Cannabis-Legalisierung an Friedrichshain orientieren.