taz.de -- Das war die Woche in Berlin II: Die Polizei braucht die Rigaer Straße

Nach dem Polizeieinsatz wird das Hausprojekt Rigaer Straße 94 zum Symbol linksradikaler Politik. Doch das ist zuviel der Ehre.
Bild: Wird hier Politik gemacht? Hausprojekt in der Rigaer Straße 94.

OppositionspolitikerInnen fahren schweres Geschütz auf. Die Grüne Jugend lobt das „antifaschistische Engagement der Hausbesetzerszene“. NachbarInnen bringen Unmengen veganer Torten vorbei. Und der Blogger John F. Nebel fasst zusammen, was offenbar viele denken: „Ich muss kein Freund der Rigaer Straße sein, um Grundrechtsverletzungen scheiße zu finden“, lautet die Überschrift seines Artikels auf metronaut.de, der tausendfach geteilt wurde.

Die Polizeieinsätze der letzten Tage haben bisher vor allem einen Effekt: Die BewohnerInnen der Rigaer Straße 94 bekommen von allen Seiten Beistand – auch von denjenigen, die mit der autonomen Szene bisher keine besonders enge Freundschaft verband. Das ist bemerkenswert, weil die Rigaer Straße damit etwas schafft, was ihr schon lange nicht mehr gelungen ist: politische Relevanz zu entfalten über den allerengsten Szenekreis hinaus, für mehr zu stehen als nur die immer gleichen, sich selbst feiernden Rituale.

Denn die politische Bedeutung und auch das Gefahrenpotenzial, das die Allianz aus Innenpolitikern der Koalition, Polizei und bürgerlicher Hauptstadtpresse der Rigaer Straße zuschreibt, sind maßlos übertrieben. Die autonome Szene in Berlin hat ihre besten Zeiten längst hinter sich, neidisch schaut man auf Hamburg oder Leipzig, wo das Randalepotenzial noch deutlich höher ist. Und jenseits von „entglasten“ Streifenwagen oder brennenden Mülltonnen geht erst recht nicht mehr viel: Es sind nicht die Autonomen aus Friedrichshain, die sich beim Protest gegen Bärgida, gegen Nazis in Marzahn oder für eine andere Asylpolitik besonders hervortun, so viel ist sicher.

Das ist auch nicht verwunderlich. Denn wer vor allem unter sich bleiben will, wird wenig verändern. Wenn sich das in diesen Tagen ändert, kann die linke Szene in Berlin davon nur profitieren. Zu der schon lange für den 6. Februar geplanten „Demonstration durchs Gefahrengebiet“ etwa, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine weitere autonome Folkloreveranstaltung inklusive der ein oder anderen Folkloresachbeschädigung und anschließender Folkloreberichterstattung gewesen wäre, rufen jetzt auch Gruppen jenseits des Friedrichshainer Nordkiezes auf.

Die Rigaer Straße als Symbol für den Kampf um eine lebenswerte Stadt – vielleicht wird es Zeit für einen Dankesbrief an Frank Henkel, der mit einer bemerkenswert dämlichen Strategie den Autonomen zu längst vergangener Bedeutung verhilft.

23 Jan 2016

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Malene Gürgen

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