taz.de -- Kommentar Wahl in Saudi-Arabien: Wandel ja, Demokratie nein
Nach der Einführung des Frauenwahlrechts kann sich das Königreich als zukunftsorientiert darstellen. Autoritär bleibt es trotzdem.
Wie bitte? Saudi-Arabien wählt? Richtig, und erstmals dürfen Frauen dabei nicht nur mitmachen, sondern sich auch selbst zur Wahl stellen. „Völlig unbedeutend!“, mäkeln Kritiker. Die Lokalräte kümmerten sich ja ohnehin nur um Grünanlagen, Schlaglöcher und öffentliche Klos. Das Königreich bleibe eine frauenfeindliche absolute Monarchie.
Stimmt. Unbedeutend ist die Regionalwahl dennoch nicht. Die Einschätzung entspringt einem orientalistischen Blick auf eine Gesellschaft, die weltweit als Buhmann angesehen wird, als unmodern und rückständig, als das Böse schlechthin. Ein König bestimmt, wo’s langgeht. Frauen haben die Klappe zu halten. Und Menschenrechtler werden ausgepeitscht oder gleich geköpft.
Das ist in Teilen ebenso wahr wie abscheulich, heißt aber nicht, dass in Saudi-Arabien die Zeit stillsteht. Die Dinge bewegen sich auch hier – in diesem Fall in die richtige Richtung. Das Wahlrecht ist ein kleiner Schritt auf dem steinigen Weg, den saudische Frauen mit viel Ausdauer zurücklegen. Er folgt der Schulpflicht für Mädchen, den ersten weiblichen Mitgliedern der Schura-Versammlung sowie den ersten Anwältinnen, Verkäuferinnen und Chefredakteurinnen. All das ist nicht selbstverständlich in Saudi-Arabien.
Die Entwicklung gibt den Menschen Hoffnung – auf Wandel, nicht auf Demokratie. Das Land bleibt ein autoritärer Staat. Erst recht, wenn sich die Herrschenden dem Wandel nicht verweigern.
Mit dem Frauenwahlrecht hat sich die Regierung dem öffentlichem Druck gebeugt und es gegen das religiöse Establishment durchgesetzt, das in Saudi-Arabien so einflussreich ist wie in Deutschland nur die Auto-Lobby. Letztlich stärkt der Wandel damit die autoritäre Herrschaft. Das Haus Saud kann sich so als modern und zukunftsorientiert darstellen. Schlecht ist die Wahl dennoch nicht, nur mit Demokratie hat sie nichts zu tun.
11 Dec 2015
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