taz.de -- Nach dem Anschlag in der Türkei: Hinweise auf IS-Miliz

Ermittler verdächtigen den IS, für den Anschlag von Ankara verantwortlich zu sein. Die HDP spricht von 128 Toten. Und die Türkei bombardiert PKK-Stellungen.
Bild: Polizeiforensiker untersuchen das Gelände nach dem Anschlag in Ankara.

Istanbul/Ankara dpa/rtr/afp | Die türkische Luftwaffe hat auch nach dem Aussetzen der Angriffe der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auf den türkischen Staat erneut Stellungen der Untergrundorganisation attackiert. Am Sonntag seien Verstecke der PKK im Nordirak bombardiert worden, teilten die türkischen Streitkräfte mit. Am Samstag seien zudem 14 PKK-Kämpfer bei Luftschlägen in der südosttürkischen Provinz Diyarbakir getötet worden.

Die PKK hatte am Samstag mitgeteilt, bis zu den Neuwahlen am 1. November auf Anschläge auf den Staat zu verzichten. Bedingung sei, „dass keine Angriffe gegen die kurdische Bewegung, das Volk und Guerillakräfte ausgeführt werden“. Von einer Waffenruhe sprach die Organisation nicht.

Vize-Ministerpräsident Yalcin Akdogan hatte zuvor angekündigt, dass die Sicherheitskräfte auch im Falle einer einseitigen Waffenruhe weiter gegen die PKK vorgehen würde. Der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der PKK eskaliert seit Ende Juli. Ein mehr als zwei Jahre anhaltender Waffenstillstand scheiterte.

Die Parlamentswahl soll trotz des verheerenden Anschlages auf eine Friedensdemonstration wie geplant stattfinden. Eine Verschiebung der Abstimmung nach dem Attentat stehe nicht zur Debatte, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter am Sonntag. Dies sei keine Option. Wegen des gestiegenen Risikos würden die Sicherheitsvorkehrungen bei Wahlkampfveranstaltungen noch weiter verschärft, sagte der Vertreter. „Die Sicherheit bei der Wahl ist gewährleistet.“

Ermittler verdächtigen IS-Anhänger

Nach dem Anschlag in der türkischen Hauptstadt Ankara verdächtigen die Ermittler laut Medienberichten Anhänger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Samstagabend unter Berufung auf Polizeikreise, die in Ankara verwendeten Sprengsätze glichen jener Bombe, mit der ein Selbstmordattentäter im Juli mehr als 30 Menschen in der Stadt Suruc an der syrischen Grenze getötet hatte. Für den Anschlag von Suruc hatte die türkische Regierung den IS verantwortlich gemacht.

In Ankara hatten sich am Samstag bei einer Kundgebung kurdischer und linker Gruppen zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und mindestens 95 Menschen getötet. Es war der schlimmste Anschlag der türkischen Geschichte. Mehr als 500 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Laut der legalen Kurdenpartei HDP ist die Opferzahl weit höher als offiziell zugegeben: Sie spricht von 128 Toten.

Die Zeitung Habertürk meldete am Sonntag, die Polizei betrachte den Bruder des Attentäters von Suruc als Hauptverdächtigen. Eine Sonderkommission aus rund 100 Beamten werte Spuren wie DNA-Proben der Leichen der mutmaßlichen Selbstmordattentäter sowie Bilder von Überwachungskameras aus. Die Zeitung Cumhuriyet meldete unter Berufung auf Augenzeugen, kurz vor der Explosion der ersten Bombe in Ankara sei der Ruf „Gott is groß“ zu hören gewesen.

Laut Habertürk könnte der 25-jährige Yunus Emre Alagöz einer der beiden Selbstmordattentäter gewesen sein. Alagöz‘ Bruder Seyh Abdurrahman hatte sich am 20. Juli in Suruc in die Luft gesprengt. Die Brüder hatten sich Medienberichten zufolge in Syrien dem IS angeschlossen und den Bau von Bomben erlernt. In der Türkei sollen sich laut Habertürk derzeit noch fünf weitere potenzielle Selbstmordattentäter des IS aufhalten.

11 Oct 2015

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