taz.de -- Kommentar Flüchtlingspolitik der EU: Europa schottet sich ab

In der Flüchtlingspolitik ist sich in Europa jeder Staat selbst der nächste. Deutsche Appelle an mehr Solidarität klingen wie das Pfeifen im Walde.
Bild: Weitergereicht: Flüchtlinge überqueren die Grenze von Griechenland zu Mazedonien

Hört, hört. Ein einheitliches Asylsystem in Europa haben Angela Merkel und FrançoisHollande in Berlin gefordert. Es müsse endlich gemeinsame Standards geben, wo und wie Flüchtlinge in Europa aufgenommen werden, forderten die beiden Staatschefs und schlugen vor, noch in diesem Jahr sollen Italien und Griechenland Aufnahmezentren einrichten, an denen sich Flüchtlinge registrieren lassen können, bevor sie auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden.

Für ein einheitliches Asylsystem wäre es in der Tat höchste Zeit. Denn das Dublin-System, wonach Flüchtlinge in dem Staat Asyl beantragen sollen, über den sie in die EU eingereist sind, ist gescheitert. Italien und Griechenland winken die Flüchtlinge nur noch durch. Ungarn baut an der Grenze zu Serbien seinen Zaun aus, und Bulgarien lässt an seiner Grenze zu Mazedonien bereits vorsorglich Panzer auffahren. Diese Maßnahmen werden nur dafür sorgen, dass sich die Flüchtlinge eben ein anderes Schlupfloch suchen. Aber sie zeigen: Jeder Staat ist sich derzeit selbst der Nächste.

Deutschland nimmt derzeit die meisten Flüchtlinge auf. Es schickt syrische Flüchtlinge auch nicht mehr in andere EU-Staaten zurück. Doch mit dieser Haltung, die sich auch in einer Hilfsbereitschaft der Bevölkerung spiegelt, steht es in Europa ziemlich allein da. Die Ablehnung von Flüchtlingen äußert sich hier in Brandanschlägen und hässlichen Szenen wie in Heidenau. Anderswo schlägt sie sich in den Parlamenten nieder. Man kann streiten, was schlimmer ist.

In Dänemark, Finnland und Österreich reüssierten zuletzt rechte Parteien, die im Wahlkampf versprachen, die Zahl der Asylbewerber im Land zu reduzieren. Großbritannien droht Flüchtlingen demnächst mit Gefängnis, wenn sie sich illegal auf der Insel durchzuschlagen versuchen. Und wie FrançoisHollande dafür sorgen will, dass Frankreich künftig mehr Flüchtlinge aufnimmt, ist ebenfalls die Frage. Sein Konkurrent, Expräsident Nicolas Sarkozy, hat die Flüchtlingsströme kürzlich mit einem Rohrbruch verglichen: Da ginge es ja auch darum, das Wasser zu stoppen, statt es gleichmäßig in der Wohnung zu verteilen.

So ist die Stimmung anderswo in Europa. Angesichts dessen klingen die deutschen Appelle an mehr europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage wie das Pfeifen im Walde. Europa schottet sich ab, nach außen und voreinander.

26 Aug 2015

AUTOREN

Daniel Bax

TAGS

Flüchtlinge
Schwerpunkt Angela Merkel
Francois Hollande
Schwerpunkt Flucht
Dublin-System
Schwerpunkt Flucht
Hamburg
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Österreich
Schwerpunkt Angela Merkel
Österreich
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht

ARTIKEL ZUM THEMA

Flüchtlingspolitik in Großbritannien: Mehr Syrien-Flüchtlinge auf die Insel

Bereits über 350.000 Briten fordern in einer Petition von ihrer Regierung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. David Cameron gibt eine Zusage für „mehrere Tausend“.

Flüchtling Khaled A. übers Ankommen: „Es ist vollkommen willkürlich“

Khaled A. floh aus Syrien, als eine Bombe neben ihm explodierte. Er spricht über Privatsphäre in der Hamburger Messe, Warten und die Angst nach den Anschlägen.

Flüchtlinge im Budapester Ostbahnhof: Warten auf den Zug nach Westen

Auf den Budapester Bahnhöfen leben Flüchtlinge. Während die Regierung Stimmung gegen sie macht, werden sie von den Ungarn meist ignoriert.

Geflüchtete in Europa: Vor dem Loch im Stacheldraht

Pakistaner, Afghanen und Syrer warten in der Sonne und hoffen, dass es weitergeht. Ein Besuch an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Flüchtlinge in Österreich: Polizei rettet Kinder aus Lastwagen

Insgesamt befanden sich 26 Flüchtlinge in dem Fahrzeug. Ein Mann wurde festgenommen. Die mutmaßlichen Schlepper eines Lkw mit 71 Toten bleiben in U-Haft.

Kolumne Die eine Frage: Ist Merkel doch nicht okay?

Den Flüchtlingen in Deutschland helfen weder Moralproduktion noch Empörung und Nazi-Aufregung. Sondern?

Tote Flüchtlinge in Lkw in Österreich: Festnahmen in Ungarn

Drei Verdächtige wurden im Nachbarland verhaftet. In dem Schlepper-Lkw starben 59 Männer, 8 Frauen und 4 Kinder. Möglicherweise kamen sie aus Syrien.

Kommentar Europa und tote Geflüchtete: Zurück zur Vision

Ein Europa ohne einigende Idee wird immer neue Tote produzieren. Mauern werden niemandem helfen, außer vielleicht verbrecherischen Schleppern.

Flüchtlingspolitik in Dänemark: Ghettos zur Abschreckung

Kopenhagen halbiert die öffentlichen Gelder für die Flüchtlinge. Das soll sie abschrecken, nach Dänemark zu kommen. Und schafft eine neue Isolation.

Kommentar Merkels Auftritt in Heidenau: Der Sommer der Offenbarung

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Und muss sich endlich auch mal so verhalten. Die Auseinandersetzung mit Rassisten und Nazis gehört dazu.

Ungarisch-serbische Grenze: Alles auffahren gegen Flüchtlinge

Tränengas, ein 3,5 Meter hoher Zaun, mehr Polizei und vielleicht bald auch mehr Soldaten? Die Situation an Ungarns Grenze zu Serbien verschärft sich.

Ungarischer Grenzzaun: Ab und zu geht das Tor auf

Ungarn versucht, Flüchtlingen den Weg nach Europa zu versperren. Wer aber durchkommt, wird mit einem Bus weiterbefördert.

Kommentar Demos vor Flüchtlingsheimen: Gegendemos statt Verbote

Das deutsche Recht bietet genügend Möglichkeiten, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen. Es braucht keine Bannmeilen um Flüchtlingsheime.

Flüchtlinge in Europa: Tausende suchen Schutz in Ungarn

So viele kamen noch nie: Über 2.000 Flüchtlinge sind an nur einem Tag nach Ungarn eingereist. Auch Österreich ist beunruhigt.

Rückschiebung in andere EU-Staaten: Syrer können in Deutschland bleiben

Deutschland setzt die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge aus. Sie werden zum Asylverfahren nicht mehr in andere EU-Staaten abgeschoben.

Nach den Ausschreitungen in Heidenau: Endlich scharfe Worte

Politiker äußern sich zu Flüchtlingen und dem rechten Mob in Heidenau – und werden für ihre Deutlichkeit gelobt. Zu Recht?

Kommentar Merkels Worte gegen Nazis: Das reicht nicht

Schuld an den realen deutschen Zuständen haben andere – das will die Kanzlerin der Öffentlichkeit weismachen. Das Leiden der Flüchtlinge verschweigt sie.