taz.de -- Ermittlungen wegen „Landesverrats“: Wie eine Affäre entsteht

Der Verfassungsschutz sah Staatsgeheimnisse durch netzpolitik.org verletzt, Bundesanwalt Range zweifelte, ließ aber prüfen. Und der Justizminister?
Bild: Internetkaktivisten demonstrierten mit den Journalisten von netzpolitik.org in Berlin.

Karlsruhe taz | Harald Range (67) ist ein liebenswürdiger älterer Herr und als Generalbundesanwalt zugleich der oberste Terror- und Spionageermittler der Bundesrepublik. Strafrechtlich ist er kein Softie, aber die Grundrechte nimmt er ernst. Schließlich ist er Liberaler, seit Jahrzehnten FDP-Mitglied. Berufen hat ihn einst die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Nun aber steht er im Feuer. Man wirft ihm vor, dass er gezielt Journalisten und ihre Quellen einschüchtern will. Immerhin hat er gegen Markus Beckedahl und Andre Meister vom Blog netzpolitik.org ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats eingeleitet. Dass er Journalisten einschüchtern will, ist allerdings genauso wenig naheliegend wie die Unterstellung, dass netzpolitik „fremde Mächte“ begünstigen wollte.

Nach Informationen der taz hatte die Affäre folgenden Ablauf: Im Februar und April schrieb netzpolitik über eine neue Referatsgruppe im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die Onlinekommunikation mit neuen Methoden überwachen soll.

Diese Veröffentlichungen nahm Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, zum Anlass für zwei Strafanzeigen, die er am 25. März und am 15. April erstattete. Sie waren vorher mit der Staatssekretärin Emily Haber aus dem Innenministerium abgestimmt.

Die Strafanzeigen richteten sich gegen „unbekannt“, also nicht gegen die Journalisten. Sie waren nur zwei Seiten lang, enthielten also nur den Sachverhalt der Veröffentlichung. Maaßen nannte kein konkretes Delikt, sondern bat allgemein, den Sachverhalt zu prüfen. Von „Landesverrat“ und „Staatsgeheimnissen“ war in der Strafanzeige nicht die Rede.

Die Strafanzeige ging bei der Staatsschutz-Abteilung des LKA Berlin ein und wurde dort an die Spionage-Abteilung weitergereicht. Von dort ging sie an den Generalbundesanwalt. Es war also das LKA Berlin, das erst mal die Weichen Richtung „Landesverrat“ stellte. Bei einer „Verletzung von Dienstgeheimnissen“ wäre die Berliner Staatsanwaltschaft zuständig gewesen.

Erst mal war er skeptisch

Range war erst mal skeptisch. Er fragte deshalb das BfV, ob es sich hier wirklich um Staatsgeheimnisse handelte. Am 5. Mai antwortete der Geheimdienst mit einem Rechtsgutachten: ja, es gehe um Staatsgeheimnisse.

Nun nahm Range einen Anfangsverdacht wegen Landesverrats an und erstellte ein Ermittlungskonzept. Zunächst sollte ein externer (also neutraler) Sachverständiger die von netzpolitik veröffentlichten Dokumente prüfen. Da es sich um ein externes Gutachten handelte, meinte Range, er müsse hierfür ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnen. Zugleich ordnete er an, dass bis zum Eingang des Gutachtens keinerlei weitere Ermittlungsmaßnahmen, etwa Durchsuchungen, gegen die Journalisten vorgenommen werden sollten.

Mitte Mai hat die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats dann eingeleitet. Am 19. Mai, also anschließend, wurde darüber das Bundesjustizministerium informiert.

Dort ging das entsprechende Schreiben am 27. Mai ein. Der Abteilungsleiter Strafrecht Hans-Georg Baumann und die Staatssekretärin Stefanie Hubig kümmerten sich um den Fall. Auch Minister Maas wurde alsbald informiert. Unklar ist, was dann konkret passierte. Wurde Range klar signalisiert, er solle besser die Finger von dieser Sache lassen? Oder gab es nur vage Bedenken ohne fundierten juristischen Gehalt?

Range jedenfalls fühlte sich weder gestoppt noch gewarnt, sondern verfolgte seinen Plan weiter. Er suchte nun einen externen Sachverständigen, was nicht einfach war. Als er einen Experten für Staatsgeheimnisse gefunden hatte, brauchte dieser aber mehr Zeit als erwartet.

Nicht miteinander geredet

Nun entstand ein Problem mit der Verjährung, die bei mutmaßlichen Straftaten von Journalisten deutlich verkürzt ist. Zwar ist der Landesverrat (§ 94 StGB) ein Verbrechen und da gilt auch nach dem hier anwendbaren Berliner Pressegesetz eine Verjährung von einem Jahr.

Allerdings kamen für Range viel eher andere Delikte in Betracht, bei denen keine Absicht, die Bundesrepublik zu schädigen, vorausgesetzt wird. Das „Offenbaren von Staatsgeheimnissen“ (§ 95) und die (fahrlässige) „Preisgabe von Staatsgeheimnissen“ (§ 97) sind nur Vergehen mit einer halbjährigen Verjährungsfrist. Hier drohte also tatsächlich Verjährung, wenn das Gutachten erst im Oktober vorliegt.

Range entschied daher, die Verjährung zu unterbrechen und wählte dafür das mildestmögliche Mittel: eine Nachricht an die beiden Betroffenen, dass gegen sie ermittelt wird. Diese Information ging den Journalisten am 30. Juli zu und sorgte erst für die gewaltige öffentliche Aufregung.

Vor diesem Schritt wurde das Justizministerium nicht unterrichtet. Es wurde also von der geballten Empörung kalt erwischt. Am nächsten Tag teilte Minister Maas in einem kurzen Statement mit, er habe Zweifel daran, ob es sich hier um ein Staatsgeheimnis handele. Er kündigte an, das Ministerium werde „dem Generalbundesanwalt dazu zeitnah eine eigene Einschätzung übermitteln.“

Das klingt nicht so, als sei bisher viel kommuniziert worden.

2 Aug 2015

AUTOREN

Christian Rath

TAGS

Landesverrat
Netzpolitik.org
Netzpolitik
Verfahren
Dortmund
Netzaktivisten
Jan Böhmermann
Landesverrat
Schwerpunkt Überwachung
Landesverrat
Landesverrat
Harald Range
Streitfrage
Landesverrat
Landesverrat
Harald Range
Hans-Georg Maaßen
Landesverrat
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung

ARTIKEL ZUM THEMA

Razzia in linkem Kulturzentrum: Polizei beschlagnahmt Server

Die Polizei hat ein linkes Zentrum in Dortmund durchsucht. Betroffene Internetaktivisten werten das als Angriff auf die Pressefreiheit.

Durchsuchungen bei Netzaktivisten: Razzia wegen Spendensammlung

Beamte durchsuchen Wohnungen von Aktivisten, obwohl nicht gegen sie ermittelt wird. Zudem gibt es eine Razzia gegen ein linkes Zentrum in Dortmund.

Pressefreiheit in Deutschland: Enthüller im Visier

Nicht nur im Fall Böhmermann – auch sonst wird immer wieder gegen deutsche Journalisten ermittelt. Nicht alle können sich gegen den Druck wehren.

Landesverrat-Vorwurf gegen „Konkret“: „Operation Eva“

Nicht nur gegen „Spiegel“ und netzpolitik.org wurde ermittelt, sondern auch gegen das linke Magazin „Konkret“ – 1982. Eine absurde Geschichte.

Kommentar Ermittlungen Netzpolitik.org: Überfällige Notbremsung

Warum wurden die Ermittlungen erst jetzt eingestellt? Das war überfällig. Ein Ziel hat der Staat weiter im Visier: potentielle Whistleblower.

„Landesverrat“-Affäre um Harald Range: Mutiger Terrorjäger

Harald Range ist ein freundlicher älterer Herr. Mutig klagte er Beate Zschäpe als Mittäterin des NSU an. Bei der NSA-Überwachung blieb er vorsichtig.

„Landesverrat“-Affäre zu Harald Range: Spiel mit gezinkten Karten

Harald Range beschuldigte den Justizminister eines „Eingriffs in die Justiz“. Der warf ihm vor, die Tatsachen zu verdrehen und entließ ihn vorzeitig.

Reaktionen auf Netzpolitik-Affäre: Viele gute Ratschläge

Parlamentarier streiten, ob Generalbundesanwalt Harald Range oder Justizminister Heiko Maas die größere Schuld in der Affäre zukommt.

Die Streitfrage: Für was würden Sie Ihr Land verraten?

Viele empören sich über den Vorwurf des „Landesverrats“ gegen die Blogger von netzpolitik.org. Vielleicht beginnt der Verrat aber auch schon im Kleinen.

Nach dem „Landesverrat“-Skandal: Justizministerium stoppt Ermittlungen

Generalbundesanwalt Range beendet auf Weisung die einzige Maßnahme im Verfahren gegen netzpolitik.org. Er kritisiert eine „Einflussnahme auf die Justiz“.

Nach dem „Landesverrat“-Skandal: Kanzleramt suchte Medienquellen

Neben dem Verfassungsschutz haben auch Kanzleramt und Innenministerium nach den Quellen von Journalisten gesucht. Die Konsequenzen sind unklar.

Kommentar zu Range und netzpolitik.org: Feige, aber nicht bösartig

Generalbundesanwalt Harald Range war zu feige oder zu höflich. Auch Justizminister Heiko Maas machte in der „Landesverrat“-Affäre keine gute Figur.

Skandal um „Landesverrat“-Ermittlungen: Maaßen verteidigt Strafanzeigen

Der Verfassungsschutzchef verteidigt seine Anzeigen, die zu Ermittlungen gegen netzpolitik.org führten. Ohne sie wäre seine Behörde nicht arbeitsfähig.

Ermittlungen gegen netzpolitik.org: Landesverrat. Bitte was?

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen netzpolitik.org. Aber sind die Vorwürfe gerechtfertigt? Und was bedeuten sie für die Verdächtigten?

„Landesverrat“-Affäre beim Bundesanwalt: Ruhe für netzpolitik.org

Im Skandal um die Ermittlungen gegen netzpolitik.org versucht die Bundesanwaltschaft zu deeskalieren. Sie will ein Gutachten abwarten, das Verfahren läuft weiter.

Reaktionen auf Bundesanwaltschaft: Landesverrat als Justizposse

Das Blog netzpolitik.org wird von einer Solidaritätswelle überrollt. Medien, Internetnutzer, spendenbereite Aktivisten – sie alle verurteilen die Ermittlungen.

Kommentar netzpolitik.org: Grenzenloser Verrat

Den Betreibern des Blogs netzpolitik.org wird Landesverrat vorgeworfen. Das ist ein drastischer Angriff auf Pressefreiheit und Demokratie.