taz.de -- Gangsta-Rap und Dschihadismus: Das Gespenst des Salafisten-MCs

Angeblich sympathisieren viele Gangsta-Rapper mit der Terrormiliz IS. Das ist Schwachsinn. Drei Probleme, mit denen die Debatte zu kämpfen hat.
Bild: Religion ist für viele Rapper nicht sonderlich „sexy“: Bushido.

Ein medialer Dauerbrenner der letzten Monate war die angebliche Verbandelung von Rap und Islam. Mancher Beitrag setzte dabei folgende Gleichung: Rap = Gangsta-Rap und „der“ Islam = fundamentalistische Welteroberungsfantasie. Viel war von IS-Kommunkationszentren und Terror-Promo-Clips mit ästhetischen Referenzen an Straßen- oder Gangsta-Rap-Inszenierungen die Rede ([1][vgl. „Die Lust am Krass-Sein“, Die Zeit]).

Dabei ist die IS-Taktik der werbewirksamen Indienstnahme von Rap-Stilmitteln völlig durchschaubar. Sich parasitär bei der Videoästhetik der aktuell einflussreichsten Subkultur zu bedienen ist clever und dreist zugleich. In das aktuelle Zusammendenken von Gangsta-Rap und Islamismus spielen verschiedene Ereignisse hinein. Etwa Hinweise auf die vor Jahren gemachten Rap-Erfahrungen eines der Charlie-Hebdo-Attentäter, oder ein Bushido, der kurz nach dem Anschlag bei Facebook in einem Paris-Sweater mit dem Kommentar „Bald geht’s wieder los“ posierte.

Erneut im Zentrum stand auch Denis Cuspert (früher als Rapper unter dem Namen Deso Dogg bekannt) als Werbegesicht einer Terrorbewegung, die Rap-Fans als potenzielle Rekruten anvisierte. Die ärgerliche Debatte beginnt eigentlich schon zu der Zeit, als Salafisten in Kölns Innenstadt Koran-Exemplare verteilen und Cuspert sich in die Nähe Pierre Vogels begibt (das Ergebnis: Annäherung, Verbrüderung, strikte Distanzierung vom Rapper-Alter-Ego, Dschihad-Einzug). Danach zog das Gespenst vom Salafisten-Rapper durch die Medien.

Vergessen wurde bei dieser Berichterstattung oft, dass Subkulturen nun mal Teil einer heterogenen Gesellschaft sind, in der sich auch Extrempositionen auf abseitigen Kanälen artikulieren. Historisch gesehen ist Rap so wenig wie zum Beispiel Punk eine Bühne für extremistisch-religiöse Orientierungen welcher Provenienz auch immer. Durchschreitet man gut 35 Jahre Rapgeschichte, muss man konstatieren: Religion und Rap gehen nur kurzzeitig und eher jenseits des dogmatischen Islam gemeinsame Wege.

Sympathie mit der Nation of Islam

Die schnelle Rede vom Islam- oder gar Islamisten-Rap ist nämlich auch für die Hochphase „religiös inspirierten Raps“ in der US-Mutterkultur problematisch: Ende der 1980er bis etwa Mitte der 1990er Jahre finden sich dort Polit-Rapper, die Islam-affine (nicht islamische) bis diffus extremistische (mitunter antisemitische) Orientierungen aufweisen.

Diese Rapper sympathisierten unterschiedlich stark mit der Nation of Islam (NOI), einer vom dogmatischen Islam recht unabhängig agierenden Gruppe. Im Falle der NOI-Splittergruppe der „5 Percenter“, die unter anderem Gangstarr oder Wu-Tang beeinflusste, ist die Distanz sogar noch größer. Künstler wie Public Enemy, Brand Nubian und aktuell Jay Electronica bringen Black-Panther- und NOI-gefärbte Inhalte zusammen. Hier wird Religion aber stark selektiv angeeignet. Als pantheistisch ausgerichtete Aufwertung des Black Man dient sie der spirituellen Orientierung vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Diskriminierung [2][(vgl. „Der Western von gestern“, taz)].

Andere Rapper wie Mos Def oder Freeway integrieren Islamreferenzen, sind aber mit Blick auf Gesamtwerk und Selbstdarstellung weit von einem programmatischen Eintreten für islamistische Inhalte entfernt.

Die aktuelle Debatte hat aber mit drei zusätzlichen Problemen zu kämpfen:

Erstens: Ablösung vom Kontext und absurde Vergleiche. Im deutschen Rap gibt es selbstverständlich auch Muslime. Aber: Ein Koranzitat in einem Track macht genauso wenig aus einem Rapper einen IS-Ideologen wie das umgekehrte Kreuz auf der Panda-Maske aus Cro einen Apologeten des Satanismus macht.

Die Frage, wann ein Rapper auch jenseits der Künstlerpersona terroraffin oder islamistisch ist, lässt sich nicht mittels Isolation einzelner Textpassagen oder Symbole beantworten. Die Grenze zwischen religiöser Positionierung und postmoderner Zeichenbricolage ist mitunter fließend. Es macht aber einen Unterschied, ob Videos ein provokatives Stimmungsbild malen und dabei religiös aufgeladene Zeichen integrieren oder aber radikale Agitation auf Album- und Interviewlänge erfolgt.

Die meisten Rapper mit oder ohne Migrationshintergrund halten ihre Religion aus den Texten heraus. Religion ist nicht sonderlich „sexy“ in einem Popgeschäft, das tendenziell Rausch und Oberfläche zelebriert.

Verschwörungstheoretikern folgend, ist die Schnittmenge von Gangsta-Rap und IS aber groß: Rebellion und Weltunterwerfung im Zeichen des martialischen Männerbündnisses. Argumentiert man auf so einem absurd-abstrakten Level, ist alles Mögliche kompatibel und sehr ähnlich orientiert: etwa Nazis und Linke, weil beide mit bestehenden politischen Verhältnissen unzufrieden sind und auf soziale Veränderung setzen, oder Facebook und der lokale Fußballverein, weil beide viele Mitglieder wollen und dabei öffentlichkeitswirksam „Gemeinschaft“ preisen.

Differenzstiftende Inhalte entfallen bei dieser Argumentation. Dass sich die Mehrheit deutscher Gangsta-Rapper Rebellion, wenn überhaupt, anders vorstellt als der IS und sich zudem an traditionell westlichen „Domänen“ wie Materialismus, ökonomischem Erfolg sowie neoliberaler Selbstoptimierung orientiert, wird ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass der Wunsch nach einem Gottesstaat eher unverträglich ist mit den tendenziell kapitalismusaffirmativen Lines von Bushido und Co.

Zweitens: Genrelogiken und Erwartungen. Gangsta-Rap funktioniert selten nach Regeln und moralischen Ansprüchen weiter Gesellschaftsteile. Harte Provokation und Überzeichnung gehören zur Selbststilisierung. Die häufige Verwischung von Fiktion und Biografie kompliziert die Angelegenheit zusätzlich. Für den genrefremden Beobachter ist schwer zu trennen, wer da spricht: die comicartige Rapfigur oder der Mensch dahinter. Das Inszenierungsmuster des Gangsta-Rap besteht darin, dass sich Kunstfiguren jenseits politischer Korrektheit als deviante Straßenakteure darstellen.

Für den öffentlichen Diskurs heißt das: Die Narrative, die manche als symbolische Ermächtigungslyrics sehen und andere für soziophobes Unterschichtsgebell halten, sind weit von dem entfernt, was allgemein als gut oder erträglich erachtet wird. Vielen fällt es schwer, die Kriminellenerzählung vor dem Hintergrund zu lesen, dass hier eine Person spricht, die sonst nicht repräsentiert oder per se ausgeschlossen ist. Wer nach substanzieller Gesellschaftskritik sucht, wird also kaum fündig.

Im Subtext führen Kritiker oft das überstrapazierte Konzept von Rap als „Black CNN“ (Chuck D) mit. Gangsta-Rap, der mit diesem politischen Verständnis inkompatibel scheint, wird kritisch beäugt. Ergänzt diese Haltung noch ein sozialphilosophischer Anspruch an 4-Minuten-Songs, der vielleicht eher bei schwarzen Suhrkamp-Bändchen angebracht wäre, ist die Enttäuschung groß. Bei der Forderung nach politischer Systemkritik wird zudem vergessen, dass diese als schicke Pose längst Teil eines Popsystems ist.

Drittens: Tendenziöse Perspektiven auf Rapper mit Migrationshintergrund. Gangsta-Rapper werden oft verurteilt, weil sie scheinbar genauso agieren, wie es die Sarrazins und Sensationsorgane hinsichtlich junger Männer in der „Parallelgesellschaft“ behaupteten: kriminell und „deutscher Leitkultur“ den Mittelfinger zeigend. Dass aber die tendenziöse und einseitige mediale Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund für die Performance des Gangsta-Rappers selbst konstitutiv ist, bleibt dabei unbeachtet. Ein (medial produziertes) Feindbild kann man schließlich nur glaubwürdig annehmen, wenn es eines gibt.

Provokation gilt im Rap als Lieblingsstilmittel, Punchlines werden dadurch druckvoller. Der Flirt mit terroristisch-islamistischer Rhetorik liegt also nahe. Etwas Gelassenheit schadet nicht. Provokativ kann man anfügen: Noch fahren die Luxusmarkenpreisenden nicht in ihren 7er-BMWs nach Syrien oder in den Irak.

Religion und Rap sind nun mal komplexe Gebilde, sie verändern sich mit den interpretierenden Akteuren. Dies zu reflektieren ist eine Herausforderung für Medien und Wissenschaft. Reflexhafte Großtheorien sichern kurzen Beifall – von der falschen Seite und von Leuten, die Pegida gar nicht so schlimm finden –, sie sind aber eine Ungerechtigkeit für Rapper und Akteure, die Rap und Islam nicht mit Hass und Vernichtungsambitionen deuten oder dafür einzuspannen suchen.

15 Jun 2015

LINKS

[1] http://www.zeit.de/2015/05/islamischer-staat-pop
[2] /HipHop-und-Terror/!5021376

AUTOREN

Dietrich

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