taz.de -- Kenan Kolat über den Nazi-Terror: "Wir nehmen das jetzt in die Hand"
NPD-Verbot, notwendige Konsequenzen aus den Nazimorden und die Planung eines "Rassismusgipfels". Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, bezieht Stellung.
taz: Herr Kolat, ein neues NPD-Verbotsverfahren wird immer wahrscheinlicher. Was halten Sie davon?
Kenan Kolat: Wir haben das schon immer gefordert. Nun müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist das Mindeste, was wir jetzt erwarten.
Was erwarten Sie noch?
Der Bundestag sollte einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um die Verquickungen zwischen dem Verfassungsschutz und der rechten Szene unter die Lupe zu nehmen.
Die Bundesregierung hat sich bei den Opfern der Mordserie entschuldigt und eine Trauerfeier angesetzt. Beides war eine Forderung Ihrerseits. Sind Sie zufrieden?
Die Rede des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert hat mir sehr gut gefallen. Er hat die passenden Worte gefunden. Aber mit der anschließenden Bundestagsdebatte war ich weniger zufrieden. Ich habe vermisst, dass gefragt wird: Wie entstehen solche Ansichten? Wie kommt es zu solchen Taten? Was haben wir falsch gemacht? Rechtes Gedankengut ist längst in die Mitte der Gesellschaft eingesickert. Es gibt nicht nur den Stiefelrassismus, es gibt auch einen Nadelstreifenrassismus.
Was fordern Sie?
Es muss endlich eine breite Debatte über Rassismus stattfinden und darüber, wie man ihn bekämpft, in der Gesellschaft und in den Institutionen. Rassistische und diskriminierende Äußerungen müssen geächtet werden. Der Strafbestand der Volksverhetzung sollte deshalb weitergefasst werden. Die Vereinten Nationen und die OECD werfen der Bundesrepublik ja schon seit Jahren vor, einen verengten Rassismusbegriff zu haben. Die beste Antwort wäre allerdings eine Politik, die auf stärkere Gleichberechtigung und Partizipation von Migranten zielt.
Sie meinen, wenn beim Verfassungsschutz und bei der Polizei mehr Migranten arbeiten würden, dann gäbe es weniger "blinde Flecken"?
Ja, wir müssen die Teilhabemöglichkeiten von Migranten stärken. Antirassistische Arbeit beginnt bei der Prävention.
Sie haben jüngst einen "Gipfel gegen Rassismus" gefordert. Was ist damit?
Es bleibt dabei. Wir nehmen die Sache selbst in die Hand. Die Zivilgesellschaft muss aktiv werden. Wir planen deshalb jetzt im nächsten Jahr eine größere Veranstaltung in dieser Richtung. Mit Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Gewerkschaften, dem Zentralrat der Juden und anderen Institutionen haben wir darüber schon Gespräche geführt.
Wird Ihre Partei, die SPD, an dem Rassismusgipfel teilnehmen?
Wir werden alle Parteien dazu einladen.
Sie haben Mahnwachen für die Opfer des rechten Terrors organisiert, die Beteiligung daran war aber eher gering. Warum?
Vielleicht, weil die Morde schon eine Weile zurückliegen. Aber wir bekommen eine Menge Zuschriften von Leuten, die bisher nicht aktiv waren, aber jetzt ein Zeichen setzen wollen.
Ihr Landesverband plant dieses Wochenende einen "Autokorso gegen Rassismus" quer durch Berlin. Er soll bis zur NPD-Zentrale nach Köpenick führen. Wollen Sie die NPD weghupen?
Das wird so sein. Wir wollen das Thema Rassismus auf die Tagesordnung setzen. Ich rechne bislang mit 200 bis 300 Autos - aber es werden sicher mehr.
1 Dec 2011
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