taz.de -- England-Ukraine 1:0: Stolze Ukrainer
Der wie ein Messias erwartete Wayne Rooney schießt die Engländer in die nächste Runde. Die Ukrainer setzen zu Sprechchören an und verabschieden ihr Team.
Das Spiel: Die Ukraine muss tatsächlich aus Schewtschenko verzichten. Milewski und Devic bilden das Sturmduo. Bei den Engländern ist der sehnsüchtig erwartete Rooney wieder dabei. Vor ihm darf Traumtorschütze Danny Welbeck, stürmen. Dazu kommt er aber zunächst nicht, denn die Ukrainer legen einen extrem aggressiven Auftakt hin.
Nach 20 Minuten gibt Gusew den ersten wirklich gefährichen Schuss ab. Das Spiel wird offener. Rooney Kopfball geht knapp vorbei und Jarmolenko schiebt aus bester Position Keeper Hart den Ball in die Arme. Die Engländer versuchen dem leidenschaftlichen Auftritt der Ukraine planvolles Aufbauspiel vor allem über links entgegenzustellen. Es gelingt nur selten. Zur Pause lebt die Hoffnung für die Gastgeber.
Schock für Blau-Gelb nach der Pause. Das Spiel hatte noch gar nicht richtig wieder begonnen, da köpfte Rooney einen Ball, den Keeper Pjatow eigentlich festhalten hätte müssen, zum 1:0 für England ein. War's das schon?
Die Ukrainer wollen weiter. Und sie treffen auch. Devics abgefälschter Schuss wird von Terry abgewehrt – hinter der Linie. Dass Devic vorher im Abseits stand, hat auch keiner gesehen. Sind die Schiedsrichter am Telefon? Jetzt kommt der alte Schewtschenko mit ihm jede Menge Stimmung in der Donbass-Arena. Doch es ist nicht der Tag der wackeren Ukrainer. Joe Hart wehrt einen hammerharten Schuss von Konopljanka ab (70.). Seit wann gewinnen englische Torhüter eigentlich Spiele? In der 88. Minute sezen die ukrainischen Zuschauer ein letztes Mal zu Sprechchören an und verabschieden ihr Team aus dem Turnier. Sie sind stolz – zu Recht.
Der Moment des Spiels: An den Ball, den Terry hinter der Linie abwehrt, wird man sich in der Ukraine noch lange erinnern. Warum? Warum nur? Dass Devic zuvor im Abseits stand, wird keinen Ukrainer je interessieren.
Spieler des Spiels: Wayne Rooney. Erwartet wie ein Messias, gibt er der englischen Mannschaft das Selbstvertrauen, das sie an diesem Tag vor dem wilden ukrainischen Publikum braucht. Sein Auftritt ist nicht überragend, aber cool. Das ist sein Tor auch.
Pfeife des Spiels: Michel Platini. Der hat zwar nicht mitgespielt, gilt aber als vehementer Verfechter des Einsatzes von Torrichtern. Jede Technik lehnt er ab. Glaubt er nach diesem Tag immer noch an das Gute im menschlichen Auge?
Schlussfolgerung: Dass sich die Engländer den Sieg in Gruppe D auf eine irgendwie ansprechende Art herausgespielt haben, wird niemand behaupten können. Sind sie plötzlich das, was sie seit 1966 nicht mehr waren – eine Turniermannschaft?
Und sonst? Am Nachmittag vor dem Spiel veranstalten ein paar Hundert englische Fans einen Marsch durch Donezk. Dabei wird ein Sarg durch die Stadt getragen. Der tote englische Fußball? Nein. „Campbell, du liegst falsch“ steht auf der Holzkiste. Der ehemalige Kapitän der englischen Nationalmannschaft hatte in einer Reportage über Rassismus in den EM-Gastgeberländern vor einer Reise nach Polen und in die Ukraine gewarnt. Zu Unrecht – wie die Engländer meinen, die doch gekommen sind.
19 Jun 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Englands Trainer Roy Hodgson wünscht sich von seinem Team mehr Siegermentalität – die der Viertelfinalgegner bereits habe. Trotzdem ist er zuversichtlich.
Die Aufregung um das nicht anerkannte Tor der Ukrainer verkennt: Michel Platini mag ein zweifelhafter Funktionär sein, aber er bewahrt die Werte des Menschlichen.
Wieder einmal lautet die Frage: War der Ball drin oder nicht? Mit moderner Technik ließe sich das Problem lösen, aber die war bislang nicht gewollt.
Wie Polen scheitert auch das zweite Gastgeberland der EM in der Vorrunde. Das ukrainische Team sucht die Schuld für die Niederlage gegen England beim Referee.
Die bereits ausgeschiedenen Schweden spielen groß auf und besiegen die Franzosen mit 2:0. Zur Strafe wartet nun im Viertelfinale Spanien.
Spanien besiegt Kroatien und ist weiter. Platini findet deutliche Worte für kroatische Fans, die einen Spieler rassistisch beschimpft haben.
In einem entsetzlich schlechten Spiel gewinnt Italien gegen Irland. Es fehlt nicht viel, und sie wären Gruppensieger. Aber Balotelli erzielt ein zauberhaftes Tor.
Zwei Tore, zwei Pfostenschüsse. Cristiano Ronaldo ist zurück im Turnier und steht nach einem 2:1 mit Portugal im Viertelfinale. Holland spielt wie klinisch tot.
Deutschland besiegt nach harter Arbeit Dänemark mit 2:1. Die Dänen sind draußen. Jetzt wartet im Viertelfinale wieder eine Mauertruppe – Griechenland.
In der Nachspielzeit der ersten Hälfte trifft Karagounis zum 1:0. Die bisher dominanten Russen verfallen daraufhin in Angststarre. Ihnen soll kein Ausgleich mehr gelingen.
Schlandland schlägt Holland verdient mit 2:1. Dank Mario Gomez und einem überragenden Bastian Schweinsteiger. Theoretisch ist trotzdem noch alles offen.