taz.de -- Kommentar Türkei und Syrien: Praktisch eine Kriegserklärung

Einen Tag nach Erdogans Brandrede lässt die türkische Armee Taten folgen. Die Botschaft an das Assad-Regime in Damaskus lautet: Ab jetzt wird zurückgeschossen.

Nur einen Tag nach Erdogans Brandrede vor seiner Fraktion lässt die türkische Armee Taten folgen. Panzerverbände und schwere Artillerie werden an die syrische Grenze verlegt, mit einer klaren Botschaft an das Assad-Regime in Damaskus: Ab jetzt wird zurückgeschossen. Außerdem wird die Türkei ab jetzt auch die syrische Opposition mit Waffen unterstützen, mit dem erklärten Ziel, Assad zu stürzen. Das ist kein geheimer Krieg mehr, es ist praktisch eine Kriegserklärung, die nur noch auf einen Anlass zum Zuschlagen wartet.

Man soll nicht glauben, dass die Türkei sich aus humanitären Gründen zu einer Militärintervention entschlossen hat. Die Bewaffnung und Unterstützung der Opposition ist Mittel zu einem eigenen Zweck. Syrien ist für die Türkei das Eintrittstor zum Nahen Osten. Das war schon der Grund für die engen Beziehungen zu Assad. Mit einer Ankara verpflichteten Nachfolgeregierung würde das umso mehr gelten. Die Türkei wäre auf einen Schlag der wichtigste regionale Player. Die Situation scheint günstig, weil Assad mittlerweile im größten Teil des Nahen Ostens und im Westen insgesamt verhasst ist.

Abgesehen davon, dass ein kaltblütig inszenierter Krieg nie legitim sein könnte, unterschätzen die Neo-Osmanen um Erdogan und seinen Außenminister Davutoglu auch die Risiken. Sie wissen weder wie Iran, noch wie Russland auf eine Auseinandersetzung zwischen türkischen und syrischen Truppen reagieren wird. Ganz schnell kann aus einem Grenzscharmützel ein Flächenbrand werden.

Vor allem aber, selbst wenn Erdogan und Davutoglu beim Sturz von Assad erfolgreich wären, wie will ausgerechnet die Türkei den guten Hegemon in einem Land abgeben, in dem Sunniten, Alawiten, Christen und Kurden friedlich zusammenleben müssen, wenn sie schon die Kurdenfrage im eigenen Land nicht lösen können?

Die Großmachtträume in Ankara haben das Potenzial, die Türkei selbst in eine tiefe Krise zu stürzen.

27 Jun 2012

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Jürgen Gottschlich

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