taz.de -- US-Soldaten in Afghanistan: Rückzug nicht ausgeschlossen

Über zehn Jahre dauert der Krieg in Afghanistan. Jetzt deuten die USA zum ersten Mal an, dass sie sich aus dem Land völlig zurückziehen könnten.
Bild: Und ab noch Hause? Bis jetzt noch nicht.

WASHINGTON taz | Der längste Krieg der US-Geschichte könnte am 31. Dezember 2014 tatsächlich mit dem kompletten Abzug der US-SoldatInnen in Uniform enden. Das ist eine neue Option, die erstmals in Washington debattiert wird.

Zwei Tage vor der Ankunft des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zu Gesprächen mit Barack Obama, Hillary Clinton und Noch-Verteidigungsminister Leon Panetta hat der stellvertretende nationale Sicherheitsberater, Ben Rhodes, im Weißen Haus erklärt: „Wir wollen keine Optionen ausschließen“.

Bislang hatten sowohl die militärische als auch die politische Spitze der USA vor, auch nach dem offiziellen Kriegsende US-SoldatInnen in Afghanistan zu behalten. Allerdings gingen die Zahlen auseinander. Der US-General und Kommandeur der ISAF-Truppen in Afghanistan, John Allen, meint, dass auch nach Kriegsende weiterhin „6.000 bis 20.000“ US-SoldatInnen in Afghanistan nötig seien.

Die Option Null

Das Weiße Haus hielt bislang, 3.000 bis 4.000 US-SoldatInnen vor Ort für ausreichend. Die „Zero-Option“ – die Option-Null – die sich aus Rhodes Erklärung ergibt, ist ein möglicher dritter Weg. „Wir haben kein vorgegebenes Ziel von x Soldaten in Afghanistan“, sagte er am Dienstag, „unser Ziel ist, dass Afghanistan kein Zufluchtsgebiet für Al-Qaida ist und dass es Sicherheitskräfte hat, die die Stabilität der afghanischen Regierung sicherstellen können.“

Der für Afghanistan und Pakistan zuständige Weiße-Haus-Berater Douglas Lute sagt das so: „Aus unserer Irak-Erfahrung wissen wir, dass es keine Folgemission gibt, wenn der souveräne Staat keine Garantien gibt.“ Das ist ein Verweis auf den Präzedenzfall für die „Zero-Option“. Auch im Fall des Irak hatten die USA ursprünglich geplant, eigene Truppen nach dem offiziellen Abzug im Land zu halten. Aber nachdem die irakische Regierung eine Immunität für US-SoldatInnen ablehnte, reagierte Washington im Jahr 2011 mit dem kompletten Abzug.

Freilich sind bis heute weiterhin rund 100.000 „US-Contractors“ im Irak (sowie rund 40.000 aus anderen Nato-Ländern). Ein hoher Anteil der Beschäftigten dieser privaten Vertragsunternehmen, die mit der „Sicherheit“ im Irak beauftragt sind, hat zuvor in US-Uniform gekämpft - unter anderem im Irak.

In Afghanistan sind gegenwärtig 66.000 US-SoldatInnen und etwas über 100.000 Nato-SoldatInnen – darunter 4.400 Deutsche – im Einsatz. Das erklärte Ziel der internationalen Allianz ist es, im Dezember 2014 aus Afghanistan abzuziehen.

Angespannte Beziehungen

Allerdings liegen bislang keine konkreten Pläne für die Nachkriegszeit vor. Seit dem Beginn des Kriegs am 7. Oktober 2001 sind nach offiziellen Zahlen mehr als 2.000 US-SoldatInnen in Afghanistan umgekommen und mehr als 18.000 verletzt worden. Die Opferzahlen unter ZivilistInnen werden überhaupt erst seit 2007 erfasst. Seither sind mindestens 13.000 afghanische ZivilistInnen Opfer des Krieges geworden.

Die Beziehungen zwischen Washington und Kabul sind seit Langem angespannt. Im Oktober hat Präsident Karsai der US-Regierung vorgeworfen, sie führe Krieg in afghanischen Dörfern, anstatt Aufständische in Pakistan zu verfolgen. Seine Visite in Washington wird er am Donnerstag im Pentagon beginnen. Am Freitag trifft er Obama.

Seit die Taliban im März aus Gesprächen ausgestiegen sind, muss Karsai noch stärker um seine künftige Kontrolle über das eigene Territorium fürchten. Die „Zero-Option“ ist möglicherweise vor allem ein neues Pfand in den Verhandlungen mit dem afghanischen Präsidenten.

9 Jan 2013

AUTOREN

Dorothea Hahn
Dorothea Hahn

TAGS

USA
Barack Obama
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Nato
Isaf
Schwerpunkt Afghanistan
Anhörung
Taliban
Barack Obama
Schwerpunkt Afghanistan
USA
Bundeswehr
Schwerpunkt Syrien
CIA
USA

ARTIKEL ZUM THEMA

US-afghanische Korruption: Monatliches „Geistergeld“ für Karsai

Der US-Geheimdienst CIA liefert laut „New York Times“ dem afghanischen Präsidenten seit Jahren undeklarierte hohe Bargeldsummen, um so seine Politik zu beeinflussen.

Oberkommandeur der Nato: Allen will nicht mehr

Der US-General John Allen zieht seine Kandidatur als NATO-Oberkommandeur zurück. Er war in der Petraeus-Affäre freigesprochen worden.

Bundeswehr in Afghanistan: Neuer Markenname für alten Einsatz

Am Donnerstag stimmt der Bundestag ab: Isaf läuft im nächsten Jahr aus, der Einsatz in Afghanistan aber nicht. Die Soldaten werden noch bleiben.

Sicherheitslage in Afghanistan: Von Politik in Propaganda abrutschen

Westliche Regierungen veranstalten Zahlenspiele, um die Lage in Afghanistan schönzureden. Die Taliban warten ab. Ein Plan B für die Zeit nach dem Abzug fehlt.

Angriff auf libysche US-Botschaft 2012: Clinton vor Untersuchungsausschuss

Es ist ihr letzter großer Auftritt als Außenministerin: Hillary Clinton sagt bei Kongressanhörungen zum Tod des US-Botschafters in Libyen im Herbst 2012 aus.

Selbstmordattentat in Afghanistan: Anschlag auf Verkehrspolizei

Mehrere Explosionen haben am Montagmorgen ein Polizeirevier in Kabul erschüttert. Die Taliban bekannten sich schriftlich zu dem Angriff.

Obamas Amtseinführung: „I have a dream – I have a drone“

Der zweite Amtsantritt Barack Obamas wird deutlich weniger euphorisch ausfallen. Linke und rechte Gegendemonstranten machen Stimmung.

Raus aus Afghanistan: Glücklicher unter den Taliban

Viele Afghanen kehren ihrem Land schon jetzt den Rücken. Auch Diplomaten und Minister sichern sich Unterkünfte im Ausland.

Kommentar US-Außenpolitik: Die Abzieher

Die Grundidee von Obamas Abzugsplänen: weniger Soldaten, mehr Drohnen. Militärische Mittel werden ein Instrument der US-Außenpolitik bleiben.

Kommentar Bundeswehr in Afghanistan: Kein Deutscher unter den Opfern

Nur weil 2012 keine Bundeswehrsoldaten in Afghanistan starben, ist dem Land nicht geholfen. Der Wehrbeauftragte und der Außenminister sollten demütiger sein.

UNO zieht aus Syrien ab: Bis auf Weiteres abwesend

Der UNO ist es in Syrien zu gefährlich und zieht ab. Der syrische Außenamtssprecher hat seinen Posten aufgegeben. Die NATO berät über Raketenstationierung.

Affäre um Ex-CIA-Chef Petraeus: Obama will sich äußern

US-Präsident Barack Obama will sich noch am Mittwoch zur Affäre um den ehemaligen CIA-Chef Petraeus äußern. Derweil beginnen Spekulationen um die Nachfolge.

Massaker in Afghanistan: US-Soldat droht Todesstrafe

Weil ein US-Soldat in Afghanistan 16 Zivilisten getötet haben soll, fordert die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe. Seine Verteidigung verweist auf psychische Probleme.