taz.de -- Kommentar Türkei: Starker Mann als Auslaufmodell
Kompromisse galten im türkischen Politbetrieb bisher als Niederlagen. Nun hat ausgerechnet Erdogan einen epochalen Wandel eingeleitet.
Der angekündigte Sturm auf den Gezi Park ist ausgeblieben, die Revolte der türkischen Zivilgesellschaft hat einen ersten großen Erfolg errungen. Ministerpräsident Erdogan sah sich zuletzt doch gezwungen, mit Vertretern der Protestbewegung direkt zu reden und er musste wichtige Zugeständnisse machen. Eine Nacht, die mit einer [1][martialischen Räumungsdrohung] begann, endete um 4:00 Morgens mit einem Kompromiss.
Erdogan nahm seine Räumungsdrohungen zurück, er sagte zu, den gerichtlich verhängten Baustopp am Gezi Park zu respektieren und den Park insgesamt so lange nicht anzurühren, wie nicht eine endgültige Gerichtsentscheidung vorliegt.
Was sich wie eine Selbstverständlichkeit anhört, ist in der Türkei ein großer Erfolg. Es gibt etliche prestige-und oder renditeträchtige Bauprojekte, bei denen die Regierung sich über Gerichtsbeschlüsse hinweggesetzt hat. Und sogar gegen überzogene Polizeigewalt soll nun ermittelt werden.
Völlig unabhängig was aus den Zusagen Erdogans nun praktisch erfolgt, der symbolische Wert dieser Zugeständnisse an die revoltierende Zivilgesellschaft ist gar nicht zu überschätzen. Politik in der Türkei war und ist Politik der starken Männer. Kompromisse gelten als Niederlagen, erst recht bei Erdogans Machostil, den er bislang herauskehrte.
Die letzte Nacht könnte einen Neuanfang markieren und als Zeichen in die türkische Geschichte eingehen, dass Kompromisse, auch in der Auseinandersetzung zwischen der Regierung und aufbegehrenden Teilen der Bevölkerung, keine Schande sind sondern zum Wesen einer demokratischen Gesellschaft gehören. Die neue Türkei zeigt ihr GESICHT.
Noch ist unklar, wie es auf dem Gezi Park selbst weitergeht. Die in der Taksim Plattform zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen werden heute Abend eine Erklärung abgeben wie sie sich das weitere Vorgehen vorstellen. Erst einmal aber scheint Entspannung angesagt.
14 Jun 2013
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Gericht hat den Baustopp für das geplante Bauprojekt im Gezi-Park gekippt. Die Regierungsgegner sehen die Entscheidung aber gelassen.
Die Ästhetik des Despoten: Warum Türkeis Premier Recep Tayyip Erdogan anstelle des Gezi-Parks eine alte Kaserne wiedererrichten möchte. Und dafür zu allem bereit ist.
Radikal oder gemäßigt? Basisdemokratie oder Delegierte? Maximal- oder Minimalforderungen? Das Protestbündnis ist uneins, wie der Widerstand fortgesetzt werden soll.
Die Besetzer des Gezi-Parks bleiben, denn Erdogan hat keine Zugeständnisse gemacht. Sie haben viel erreicht - und dafür bezahlt. Jetzt müssen sie sich auf Minimalziele einigen.
Die Demonstranten widersetzen sich der Forderung von Erdogan. Sie wollen im Gezi-Park ausharren. Der Konflikt droht sich erneut zu verschärfen.
„Hayat TV“ hat umfassend über die Gezi-Park-Proteste berichtet. Nun will die türkische Rundfunkbehörde den Sender schließen – nicht zum ersten Mal.
Der türkische Premier Erdogan hat das Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park vorerst gestoppt. Nun sollten die Demonstranten aber auch gehen, fordert er.
Trotz Erdogans Ultimatum bleiben die Demonstranten auf dem Taksim-Platz, die Polizei verhält sich ruhig. Zeit für Gespräche und für Musik.
Der türkische Premier stellt sich schlau an: Mit seinem Vorschlag, das Volk über den Gezi-Park abstimmen zu lassen, kann er sich demokratisch geben.
Sirri Süreyya Önder vertritt den Taksim-Platz im Parlament und stoppte vor Ort einen Bulldozer. Deshalb lag er sogar im Krankenhaus.
Ändert Premier Erdogan nicht seinen Kurs, wird weiter demonstriert, sagt Türkeiexperte Yasar Aydin. Sein Image habe Schaden genommen.
Regierungschef Erdogan hat auf dem Taksim-Platz einen Pyrrhussieg erreicht. Die Zeit autoritärer Patriarchen in der Türkei neigt sich dem Ende zu.
Anwälte werden verhaften, die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Für die türkischen Medien kein Grund für ausführliche Berichterstattung.