taz.de -- Kommentar Proteste in der Türkei: Erdogans gefährliches Pflaster

Mitten in den Unruhen schafft es die AKP eine perfekte Jubelorgie für Erdogan zu veranstalten. Der Premier wettert gegen ausländische Medien. An Deeskalation hat er kein Interesse.
Bild: Die ausländischen Medien verbreiten ein völlig falsches Bild von der Türkei, meint jedenfalls Herr Erdogan

Schon vor seiner Großkundgebung am Sonntagabend in Istanbul, hatten der Regierungspartei nahestehende Medien angekündigt: Erdogan werde enthüllen, wer hinter der Revolte der letzten drei Wochen steckt.

Erdogan hielt Wort und enthüllte: Es sind die ausländischen Medien, namentlich CNN, BBC und Reuters, die die Proteste anstacheln würden und ein völlig falsches Bild von der Türkei verbreiten würden. Das richtige Bild sei hier, auf dem Platz in einem Vorort der Stadt, wo rund 300.000 Erdogan-Anhänger das Konterfei des Ministerpräsidenten schwenkten und ihm zujubelten.

Tatsächlich muss man als ausländisches Medium neidlos anerkennen, dass die Parteiorganisation der AKP perfekt ist. Wo andere Leute in der Megametropole Istanbul am Sonntag die allergrößten Schwierigkeiten haben, von einem Stadtteil in einen anderen zu kommen, weil viele Fähren, Straßenbahnen und Busse nicht fahren und Brücken teilweise gesperrt sind, stehen für Erdogans Anhänger überall Busse und Schiffe bereit, die die Massen zum Versammlungsort karren.

Wo andernorts jede Versammlung von mehr als zehn Menschen überall in der Stadt von der Polizei angegriffen wird, können in Zeytinburnu, wo Erdogans Versammlung stattfindet, Hunderttausende einen komfortablen Abend genießen, Verpflegung inclusive.

Zwei Stunden lang heizt Erdogan die Menge an, redet von Terroristen und ausländischen Medien, die die Terroristen unterstützen. Am Ende hat er zu mindestens eins erreicht: Knüppelschwingende AKP Anhänger machen sich am späteren Abend unter Allah-u-Akbar-Rufen selbst auf den Weg, um „Terroristen“ zu jagen. Das Hauptquartier der oppositionellen CHP in Istanbul wird von ihnen angegriffen, dann suchen sie weitere Demonstranten.

Über Twitter wird die Aufforderung an die Demonstraten verbreitet, nach Hause zu gehen. Auf den Straßen sei es zu gefährlich.

Erdogan ist drauf und dran dafür zu sorgen, dass es immer gefährlicher wird.

17 Jun 2013

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Jürgen Gottschlich

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