taz.de -- Sachbuch über US-Kriegsführung: Ungezieltes Töten

Der Kampf der USA gegen weltweit operierende Terrorgruppen ist umstritten. Autor Jeremy Scahill kritisiert nicht nur die Intransparenz des Vorgehens.
Bild: Cover von „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“

Jeremy Scahill zählt seit seinem 2007 veröffentlichten Buch über das private Söldner-Unternehmen Blackwater zu den bekanntesten Investigativjournalisten der USA. Der 38-Jährige recherchiert vor allem für The Nation und den Fernsehsender Demokracy Now.

In seinem neuen Buch und dem gleichnamigen Dokumentarfilm „Schmutzige Kriege“ zeichnet er die Geschichte der US-amerikanischen Terrorismusbekämpfung seit dem 11. September 2001 nach, „wie die Vereinigten Staaten dazu kamen, gezielte Tötungen zu einem zentralen Bestandteil ihrer nationalen Sicherheitspolitik zu machen“.

Wie bei anderen Autoren zuvor (Hersh und Mayer) liegt auch bei Scahill der Fokus auf dem Abbau der Menschenrechte für Gefangene beim Antiterrorkampf, denen der Status als geschützte Personen nach den Genfer Konventionen abgesprochen wurde, die US-Regierung spricht bei ihren Feinden von unrechtmäßigen, irregulär agierenden Kombattanten.

Scahill konzentriert seine jetzige Untersuchung vor allem auf die Durchführung gezielter Tötungen durch US-Einheiten. Sehr plastisch beschreibt er, wie im Irak, in Pakistan, in Somalia, dem Jemen und andernorts zunächst eine begrenzte Anzahl von bekannten Führern, am Ende Tausende von Personen auf den Abschusslisten der USA standen. Für den drastischen Anstieg von Zielpersonen macht er dabei die verheerenden Folgen der Antiterrorpolitik in Irak, Somalia oder Jemen selbst verantwortlich, die den Islamisten und Netzwerken wie al-Qaida immer neue Kräfte zuführten.

Ein weiteres Übel sieht er in der Intransparenz der US-Kriegsführung. Die Falken im Pentagon und dem Weißen Haus schufen sich im Antiterrorkampf ihre eigenen Eliteeinheiten. Diese waren, so Scahill unter dem so genannten JSOC (Joint Special Operations Command) zunächst in Staaten wie Afghanistan und Irak aktiv, deren Regimen die USA den Krieg erklärt hatten. In der Folge wurde das Aktionsfeld für die verdeckten Operationen auf die Territorien von über 100 Staaten ausgedehnt, also die ganze Welt – und zwar oft in Unkenntnis der jeweiligen US-Botschaften und dortigen CIA-Kommandos sowie der jeweiligen ausländischen Regierungen, in deren Territorium die Einheiten operieren.

„Amerikanische Taliban“

Scahill berichtet von Kriegsschauplätzen, zu denen westliche Journalisten normalerweise keinen Zugang haben. Ein drastischer Fall scheint der Angriff im afghanischen Gardez, bei dem am 12. Februar 2010 ein in Opposition zu den Taliban stehender Polizeipräsident, sein Bruder sowie zwei schwangere Frauen erschossen wurden. Augenzeugen berichteten von kräftigen, nicht in Uniform agierenden US-Amerikanern mit Bärten, „amerikanische Taliban“.

Ein anderes Beispiel: der Raketenangriff auf al-Majalah in Jemen, bei dem es ebenfalls zu einem Massaker an Zivilisten kam. Es wurde von den bekannten jemenitischen Journalisten Abduleah Haider Shaye aufgedeckt, der sich aber seitdem in jemenitischer Haft befindet und auf explizite Intervention von Präsident Obama bis heute dort verblieb.

Bitter wird Scahill, wenn es um den Friedensnobelpreisträger und Präsidenten Obama geht, der in seinem Wahlkampf 2008 eine Revision der Sicherheitspolitik von Präsident Bush versprochen hatte, letztlich aber viele der von seinem Vorgänger getroffenen Maßnahmen auf Jahre hinaus weiter fest etabliert hat.

Radikalisierung eines US-Bürgers

Deutlich macht Scahill dies am Beispiel des US-Bürgers Anwar Awlaki, ein islamischer Prediger, der unmittelbar nach dem 11. September 2001 in den USA noch eine mäßigende Rolle innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in den USA eingenommen hat, sich aber unter dem Eindruck des US-Kriegs gegen den Terrorismus zunehmend radikalisierte. Er geriet alsbald ins Visier der US- als auch der jemenitischen Geheimdienste.

Scahill zeichnet die tragische Geschichte der Familie nach, des Vaters Nasser, der in den sechziger Jahren als Stipendiat in die USA kam und sich für das Land begeisterte. Am Ende wurde sein Sohn und wenig später dessen 16-jähriger Sohn bei einem US-Drohnenangriff im Januar 2011 im Jemen ermordet. Anwar Awlaki war zu einem radikalen Islamisten geworden, nach Scahill lagen aber keine stichhaltigen Beweise für eine tatsächliche Verstrickung in terroristische Vergehen vor.

17 Oct 2013

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