taz.de -- Kommentar Koalition in Hessen: Pragmatismus statt Politikwechsel
Ein Politikwechsel ist das nicht, was in Hessen passiert. Die künftige schwarz-grüne Landesregierung könnte aber ein Modell für den Bund werden.
Zügig, konzentriert und pragmatisch haben CDU und Grüne in Hessen drei Wochen über einen [1][Koalitionsvertrag] beraten, der durchaus historisch zu nennen ist. Wenn es bei den Verhandlungen so etwas wie ein Leitmotiv gegeben hat, dann war es „Stabilität“.
Schwarz-Grün in Hamburg? Ein flüchtiger Flirt. Jamaica im Saarland? Eine wacklige Notlösung. In Wiesbaden betonen nun alle Beteiligten, diese neue Koalition sei keine „Liebesheirat“, nicht einmal ein „Projekt“.
Hessen ist ein wirtschaftlich wichtiges Flächenland mit mehr als sechs Millionen Einwohnern. Es hat eine Regierung nötig, die hält – auch das, was sie verspricht.
Ein „Politikwechsel“, wie ihn die Oppositionsparteien vor der Wahl gefordert hatten, lässt sich aus dem Koalitionsvertrag zwar nicht herauslesen. Dass es diesen Vertrag überhaupt gibt, dass ihn zwei ehemals orthodoxe Landesverbände ausgehandelt haben – das ist schon ein zivilisatorischer Fortschritt.
Unter Volker Bouffier hat in der hessischen CDU ein Pragmatismus die Oberhand gewonnen, den man kaum für möglich hielt. Gleiches gilt für Tarek Al-Wazir, der seine Grünen aus den ideologischen Schützengräben geführt und nun herausgeholt hat, was herauszuholen war.
Al-Wazir kann jetzt versöhnen
Mag sein, dass ein so umstrittenes Problem wie der Frankfurter Flughafen nicht gelöst, sondern auf die lange Bank geschoben wurde. Mag sein, dass den Grünen mit zwei Ministerien weniger Ressorts zufallen als zuletzt dem wesentlich schwächeren CDU-Juniorpartner FDP.
Als Wirtschaftsminister aber kann Al-Wazir die ihm vorschwebende Versöhnung von Ökonomie und Ökologie weit besser vorantreiben, als dies in einer Großen Koalition möglich gewesen wäre. Er wird diesen Umbau persönlich verantworten, und er wird sich an den Ergebnissen messen lassen müssen.
Schon im Vorfeld wurde der Vertrag sowohl vom linken Spektrum als auch von Wirtschaftsverbänden kritisiert. Der entspannte Bouffier nahm das als Zeichen, dass seine Regierung auch mit den Grünen die Mitte besetzt und „wir so falsch nicht liegen können“.
Al-Wazir dagegen wird künftig den Beweis führen müssen, dass die Mitte, in die er seine Partei geführt hat, tatsächlich eine goldene sein kann – und damit ein Modell für den Bund. 14 Jahre hat er auf diese Gelegenheit gewartet.
Daher wird ihm auch die Gefahr bewusst sein, dass er am Ende nicht das Land, sondern unter wohlwollender Aufsicht eines präsidialen Landesvaters vor allem die CDU modernisiert haben könnte.
17 Dec 2013
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Dutzende Flüge sind durch einen Warnstreik am Frankfurter Flughafen annulliert worden und wurde weitgehend gesperrt. Verdi will höhere Löhne durchsetzen.
Im Wiesbadener Landtag wurde Volker Bouffier zum Ministerpräsidenten gewählt. Allerdings verlief die Abstimmung nicht ohne Komplikationen.
Kaum hat die neue Regierung die Arbeit aufgenommen, werden schon die nächsten Koalitionsoptionen sondiert – bei einem Berliner In-Italiener.
Nach der CDU haben auch die Grünen für den Koalitionsvertrag in Hessen gestimmt. So einstimmig wie beim Partner war's aber nicht. Aber auch nicht eng.
Per Handzeichen stimmten rund 100 CDU-Delegierte auf einem kleinen Parteitag für den Koalitionsvertrag mit den Grünen in Hessen. Der Partner diskutiert noch.
Die Grünen-Spitze sieht Hessen als wichtigen Testlauf für den Bund. Motto: Wenn Schwarz-Grün dort möglich ist, dann ist es das überall.
Bis zuletzt rangen CDU und Grüne um den Frankfurter Flughafen und die Landesfinanzen, jetzt sind sie sich einig. Details sollen am Mittwoch vorgestellt werden.
Für die Schlussrunden ihrer Verhandlungen haben sich CDU und Grüne in Hessen die dicksten Brocken aufgehoben. Dienstag soll der Koalitionsvertrag stehen.
Am Frankfurter Flughafen soll es Lärmpausen von sieben Stunden in der Nacht geben. Und der Bau des dritten Terminals wird überprüft.
CDU und Grüne wollen das strittige Kinderförderungsgesetz überarbeiten. Auf Druck der Grünen soll es um den Aspekt der Inklusion erweitert werden.
3.000 Lehrerstellen wollen CDU und Grüne in Hessen angeblich wegkürzen – und bringen damit die Gewerkschaft gegen sich auf.