taz.de -- Landtag debattiert sexuelle Vielfalt: 27 Mal „sex“ auf 32 Seiten
Das Parlament in Baden-Württemberg diskutiert, wie viel sexuelle Vielfalt in den Bildungsplan darf. Die Grünen kritisieren die Debatte als unsachlich.
STUTTGART taz | „Spaltet ein ideologisierter Bildungsplan unser Land?“ Zu dieser Frage hatte die CDU am Mittwoch eine Aktuelle Stunde im Landtag beantragt. Und die war symptomatisch für die Diskussion im Land. „Unsachlich“ nannte die Grünen-Abgeordnete Brigitte Lösch allein die Frage. Sie nehme Anleihen bei der homophoben Petition des Realschullehrers Gabriel Stängle und damit einer Haltung, die in der aufgeklärten Gesellschaft nichts zu suchen habe.
Der Entwurf zum baden-württembergischen Bildungsplan 2015 sieht vor, dass in Schulen künftig für die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ geworben wird. Dabei sollen Themen wie Homosexualität, Bi- und Transsexualität im Unterricht intensiver und fächerübergreifend behandelt werden. Eine Internetpetition gegen den Plan hatte am Mittwoch 156.000 Unterschriften, eine Gegenpetition dazu mehr als 80.000.
Im Landtag rief Kultusministers Andreas Stoch (SPD) dazu auf, die Debatte zu versachlichen. In einer eindringlichen Rede sagte er, Homosexualität müsse als Normalität anerkannt werden. „Manche denken aber, es soll zur Norm werden“, das sei nicht beabsichtigt. „Kindern soll nicht die Abkehr von Familie und Ehe gelehrt werden.“ Stoch betonte, bislang werde lediglich ein Arbeitspapier diskutiert, nicht der endgültige Bildungsplan.
Die Opposition im Parlament blieb am Mittwoch bei ihrer Ablehnung. FDP-Bildungsexperte Timm Kern sagte, er habe als Lehrer zwar bereits „inakzeptable Beleidigungen“ gehört, und halte es für wichtig, Toleranz zu vermitteln. Aber auf 32 Seiten des Arbeitspapiers komme 27-mal ein Wort mit „sex“ vor. Die Regierung schieße damit über das Ziel hinaus.
CDU bleibt blass
Die CDU blieb in der von ihr beantragten Debatte blass. Fraktionsvorsitzender Peter Hauk sagte zwar, die gesellschaftliche Realität, in der auch Regenbogenfamilien vorkommen, müsse an Schulen ankommen und Toleranz müsse dort gelehrt werden. „Lehrer kommen dem aber heute schon nach“, meint er.
Außerhalb des Parlaments ist auch die lesbische Lehrerin Annemarie Renftle aus Stuttgart an einer thematischen Relativierung interessiert. Zusammen mit dem Arbeitskreis Lesbenpolitik der Bildungsgewerkschaft GEW habe sie jahrelang vergeblich die Thematisierung von Homosexualität in Schulen gefordert und endlich Gehör gefunden beim persönlichen Gespräch mit Kultusminister Stoch. „Das Arbeitspapier enthält jetzt fast 100 Prozent unserer Forderungen“, erzählt Renftle. Dass es dabei bleibt, erwarte sie gar nicht. „Wie in jeder Verhandlung werden vielleicht zehn Prozent davon übrig bleiben.“
22 Jan 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Am Samstag wird erneut gegen sexuelle Vielfalt als Thema im Unterricht demonstriert. Winfried Kretschmann bemüht sich um Deeskalation.
Auf der staatlichen Webseite können sich Teenager in Singapur über gleichgeschlechtliche Liebe informieren. Das Angebot stößt auf sehr unterschiedliche Reaktionen.
Wie schreibt man transsexuell? In Baden-Württemberg ist ein Streit um queere Lehrinhalte in der Schule entbrannt. Das müsste nicht sein.
In Sachsen-Anhalt verspricht ein fundamentalistischer Verein die „Heilung“ von Homosexuellen. Unterstützung bekommt er von CDU-Mitgliedern.
Eine 33-jährige Chinesin bittet ihren schwerreichen Vater öffentlich, ihre Homosexualität zu akzeptieren. Er will ihr die sexuelle Orientierung mit Geld austreiben.
Die grün-rote Landesregierung will künftig in den Schulen sexuelle Vielfalt behandelt wissen. Ein Lehrer sammelte bis Dienstag Unterschriften dagegen – mit großer Resonanz.
Beim Coming-out von Hitzlsperger jubelte die Nation. In BaWü findet derweil ein Backlash statt. Die Debatte um sexuelle Vielfalt im Lehrplan ist bigott.
Wie die Bremer CDU-Abgeordnete Sigrid Grönert eine homophobe Petition zu unterschreiben, ist daneben. So zu tun, als sei man Vorreiter in Sachen Gleichstellung, auch.
Der Landeselternbeirat Baden-Württemberg begrüßt die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Unterrichtsthema. Das Thema soll 2015 im Bildungsplan verankert werden.
Nun wissen wir nicht nur, sondern können auch beweisen: Es gibt schwule Profi-Fußballer. Aber wie reden wir am besten über sie? Das taz-Abc hilft.
Baden-Württemberg möchte die Akzeptanz sexueller Vielfalt in Schulen stärken. Die Kirchen nicht. Aber sollen Kirchen überhaupt Schule machen?
Lehrer Peter F. ist beliebt. Doch keiner weiß, dass er schwul ist. Es ist weniger die Reaktion der Kinder, die er fürchtet - es sind ihre evangelikalen Eltern.