taz.de -- Proteste in der Ukraine: Brüchige Waffenruhe

Der von Opposition und Regierung beschlossene Gewaltverzicht wurde nicht eingehalten. Außenminister Steinmeier ist derweil mit EU-Kollegen in Kiew eingetroffen.
Bild: Oppositionelle in der Nähe des Maidan-Platzes in Kiew.

KIEW rtr/afp/dpa/ap | Trotz eines vereinbarten Gewaltverzichts haben sich ukrainische Polizei und Demonstranten in Kiew neue Auseinandersetzungen geliefert. Protestierer warfen auch Feuerwerkskörper und Brandsätze auf die Sicherheitskräfte, die Tränengas abfeuerten. Tausende Menschen harrten auf dem Maidan-Platz im Stadtzentrum aus.

Präsident Viktor Janukowitsch und die Anführer der Oppositionsparteien im Parlament – Arseni Jazenjuk, Vitali Klitschko und Oleg Tjagnibok – hatten am Vorabend überraschend auf eine „Waffenruhe“ und neue Verhandlungen über einen Ausweg aus dem monatelangen Machtkampf verkündet.

Am Maiden brannten in der zweiten Nacht in Folge von Demonstranten errichtete Barrikaden. Sie zeigten sich weiter unnachgiebig und forderten den Rücktritt von Janukowitsch. Zahlreiche Regierungsgegner stellten sich auf eine neue Konfrontation ein. Eine neue Krawallnacht sollte es laut Oppositionsführer Vitali Klitschko jedoch nicht geben. Janukowitsch habe eingewilligt, das Protestlager nicht stürmen zu lassen, wurde Klitschko von der Nachrichtenagentur Interfax zitiert.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) will in Kiew zusammen mit seinem französischen und polnischen Kollegen auf eine Abkehr von der Gewalt und die Rückkehr an den Verhandlungstisch dringen. „Wir wollen in Kiew mit Janukowitsch und den Vertretern der Opposition sprechen, um darauf zu dringen, jetzt beiderseits eine Atempause einzulegen und die Gewalt herunterzufahren“, sagte Steinmeier am Donnerstagmorgen vor seinem Abflug in die ukrainische Hauptstadt. „Wir wollen helfen, wieder einen Weg in Verhandlungen über eine politische Konfliktlösung zu finden.“

Es sei „ein starkes Zeichen, einer gemeinsamen Haltung Europas“, dass er gemeinsam mit seinen Kollegen aus Frankreich und Polen nach Kiew reise, sagte der Minister. Nach seiner Ankunft sollte er zunächst mit Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski in der deutschen Botschaft zusammenkommen. Anschließend waren Gespräche mit den Oppositionsführern Jazenjuk, Tiagnibok und Klitschko geplant, bevor die drei europäischen Minister im Präsidentenpalast mit Janukowitsch zusammenkommen wollten.

Europäische Verantwortung

„Ob es uns gelingen kann, Schlimmeres zu verhindern, können wir nicht wissen, aber den Versuch zu unternehmen, ist für mich Teil unserer europäischen Verantwortung“, sagte Steinmeier. Die drei Minister wollten am Nachmittag von Kiew nach Brüssel fliegen, wo sie auf einer Dringlichkeitssitzung der EU über die Lage in der Ukraine Bericht erstatten wollten.

Die USA verhängten bereits erste Sanktionen gegen hochrangige Regierungsmitglieder der Ukraine. Die Strafmaßnahmen richteten sich gegen etwa 20 Personen, die für das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten verantwortlich gemacht würden, teilte das Außenministerium in Washington mit.

Bei den Sanktionen handle es sich zunächst um Einreiseverbote. Die USA würden in Abstimmung mit der Europäischen Union aber weitere Schritte prüfen. Es blieb zunächst offen, welche Politiker in der Ukraine von den Strafmaßnahmen betroffen sind.

Selbstverteidigungskräfte patrouillierten

Die Gewalt in Kiew war am Dienstag bei einem Protestzug der Regierungsgegner zum Parlament ausgebrochen. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Auch in vielen Städten im Westen der Ex-Sowjetrepublik blieb die Lage angespannt. In der Großstadt Lwiw (Lemberg) patrouillierten sogenannte Selbstverteidigungskräfte in den Straßen. Die antirussisch geprägte Gegend ist eine Hochburg radikaler Regierungsgegner.

Die Zahl der Toten nach brutalen Straßenschlachten stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf mindestens 28 Demonstranten und Polizisten. Wohl mehr als 1.000 wurden verletzt, darunter auch mehrere Journalisten.

20 Feb 2014

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