taz.de -- Ruslana über die Zukunft der Ukraine: „Alles, was ich will, ist Frieden“

Die ukrainische Siegerin des Eurovision Song Contest 2004 stand jeden Abend auf dem Maidan und sang. Sie hält sich jedoch für unpolitisch und nennt Putin einen Lügner.
Bild: Ruslana im Januar 2014 unter DemonstrantInnen in Brüssel, die die Integration der Ukraine in die EU fordern.

taz: Ruslana, Sie haben Abend für Abend auf dem Maidan gegen das Regime von Präsident Wiktor Janukowitsch auf der Bühne gestanden. Warum?

Ruslana: In der ersten Woche der Proteste Ende November ging es nur um die Forderung, das Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, das Janukowitsch auf Eis gelegt hatte. Aber dann kam die Nacht des 30. November 2013, die Nacht, in der der Diktator seine Spezialtruppen auf die friedlich schlafenden Demonstranten – die meisten von ihnen Studenten – hetzte. Es gab dutzende zum Teil schwer Verletzte. Danach war klar, ein solcher Präsident hat jede Berechtigung verloren. Er muss weg.

Und Sie waren immer dabei?

Vom ersten Tag an. Hauptsächlich habe ich mich um die Nachtschicht gekümmert, stand Nacht für Nacht von Mitternacht bis zum Morgengrauen auf der Bühne, zum Teil bis zu zehn Stunden am Stück, habe bei Eis und Schnee, manchmal bei minus 17 Grad, die Leute bei Laune gehalten. Alle Stunden habe ich zusammen mit den Menschen, die monatelang auf dem Platz ausgeharrt haben, die ukrainische Nationalhymne gesungen – ein Symbol für Frieden und Hoffnung und für unser gemeinsames Ziel.

Wie beurteilen Sie Ihre Rolle bei den Protesten?

Ich sehe mich als Sprachrohr der friedlichen Euro-Maidan-Bewegung. Diese beschränkt sich nicht nur auf den Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Es gab Demos und Aktionen in allen Landesteilen. Ich bekomme Nachrichten aus allen Winkeln des Landes und von Ukrainern auf der ganzen Welt, die ich zum Teil auf der Bühne vorgelesen habe. Wir haben uns als Volk vereint und das verbrecherische Regime aus dem Amt gejagt. Allerdings war der Preis hoch – viel zu hoch. Fast 100 Menschen hat der Kampf für Freiheit und Demokratie das Leben gekostet. Es ist meine Pflicht – schon allein im Gedenken an die Opfer –, meinen Kampf fortzuführen, bis das Ziel erreicht ist.

Sie sprechen von der Opposition des Euro-Maidan. Was ist das?

An dieser Stelle möchte ich etwas erklären. In den deutschsprachigen Medien wurde oft „Maidan“ und „Opposition“ in einen Topf geworfen. Das ist aber falsch. Der „Maidan“ ist eine Bewegung der Durchschnittsbürger, Studenten, Alten, Jungen, Familien – Menschen, die für eine bessere Zukunft ihres Landes eintreten und dabei europäische Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Ziel haben. Diese Leute sind nicht nur überwiegend unpolitisch, sie trauen großenteils Politikern aufgrund schlechter Erfahrungen nicht über den Weg. Daneben gibt es die Oppositionspolitiker und -parteien, die bei Veranstaltungen auf dem Unabhängigkeitsplatz mit ihren Flaggen und Zeichen auch dabei sind, die aber nicht mit der „Maidan-Bewegung“ gleichzusetzen sind.

Unterstützen Sie eine bestimmte Partei, etwa die von Julia Timoschenko oder gar die Rechten von „Swoboda“?

Ich bin ganz und gar unpolitisch, und ebenso sind es die meisten Leute auf dem Maidan. Der Maidan, das sind Menschen, die eine gemeinsame Zukunftsvision haben, unabhängig von der Ideologie, zu der sie sich bekennen.

Sie beteiligten sich auch heftig an der Orangen Revolution im Herbst 2004. Was ging damals so schief, dass irgendwann Janukowitsch wieder an die Macht kam?

Die Orange Revolution unterscheidet sich radikal von den Protesten des heutigen Maidan. Wir haben uns damals hinter einen Anführer gestellt. Wir glaubten und hofften auf diese eine Person – Wiktor Juschtschenko. Er war ein Symbol für Gerechtigkeit und Freiheit. Heute folgen wir nicht mehr blind einem Anführer. Heute stehen Ukrainer nur für sich selbst und ihre Kinder auf dem Maidan. Der Maidan, wenn ich das so sagen darf, glaubt nicht mehr an die Versprechen der Politiker und verlässt sich auch nicht mehr auf sie. Wir verlassen uns nur auf die eigenen Kräfte.

War es bei den Protesten für Sie nützlich, Siegerin des Eurovision Song Contests 2004 gewesen zu sein?

Auf dem Maidan bin ich nur eine von vielen freiwilligen Helfern. In den letzten Wochen habe ich meinen Bekanntheitsgrad aber dazu genutzt, bei hochrangigen Politikern in der EU und Amerika für unser Anliegen, für Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden zu werben und um Hilfe zu bitten. Ich habe im EU-Parlament in Straßburg und Brüssel gesprochen, war in Berlin, Warschau und Stockholm und bei der OSZE in Wien, habe mich in Washington mit Vizepräsident Joe Biden getroffen, und First Lady Michelle Obama ehrte mich mit dem Woman of Courage Award, um nur einige Stationen der letzten Wochen zu nennen. Überall habe ich Pressekonferenzen gegeben, um Europa und Amerika die Wahrheit über die Situation in der Ukraine zu verdeutlichen.

War es ein Akt des Mutes, auf dem Maidan zu singen?

„Wenn du nicht vom Maidan verschwindest, knallen wir dich ab“: Das war eine von mehreren Morddrohungen, die ich erhalten habe. Wochenlang habe ich mein Haus nicht betreten können. Meine Freunde wurden entführt und gefoltert. Ich habe so viel Leid gesehen. Diese Bilder wird man nie wieder los. Ich habe von der Bühne aus versucht, beschwichtigend auf die Spezialeinheit Berkut einzuwirken, sie aufgerufen, die Befehle nicht zu befolgen. Mut? Es kam für mich nie auch nur eine Sekunde in Frage, aufzugeben. Es gibt keinen Weg zurück.

Wie beurteilen Sie die Politik Wladimir Putins?

Ich kann getrost sagen, dass Putin ein Lügner ist. Die Invasion der Krim durch Russland – das ist ein Problem von globalem Ausmaß. Das ist eine Bedrohung nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa und für die Sicherheit der ganzen Welt. Deswegen sollten wir dieses Problem mit gemeinsamen, internationalen Kräften lösen. Wenn Putin es sich erlaubt, sein Militär einfach in andere Länder einmarschieren zu lassen, und dieses dann ohne jegliche Bestrafung bleibt, dann heißt das für ihn, dass man das auch in anderen Ländern tun kann. Wir dürfen das nicht zulassen.

War der Protest in der Ukraine gegen Janukowitsch einer von allen religiösen und nichtreligiösen Richtungen?

Die Proteste betrafen die ganze Ukraine, unabhängig von Regionen, Berufen und Konfessionen. Die ukrainische Kirche hat den Maidan vom ersten Tag an unterstützt und tausende Gebete, die stündlich im Einklang mit dem Maidan erklungen sind, haben uns beschützt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie wichtig es war, für erschöpfte und übermüdete Menschen, die all ihre Kräfte für den Kampf für Gerechtigkeit verbrauchten, sich an Gott wenden zu können und damit den Glauben an den Sieg zu festigen.

Waren auch offen sichtbare Schwule und Lesben an den Protesten beteiligt?

Ich glaube ja. Ich möchte nochmals wiederholen, dass der Maidan jetzt nicht mehr bloß ein Platz im Zentrum von Kiew ist, sondern ein großer Volksgeist, unabhängig davon, wo er sich befindet, wer sich auf ihm befindet und unabhängig von der sexuellen Orientierung.

Dieses Jahr repräsentiert eine Sängerin die Ukraine beim Eurovision Song Contest, die ausdrücklich für den damaligen Präsidenten Janukowitsch Partei ergriffen hat. Kann sie weiterhin die Ukraine repräsentieren?

Ehrlich gesagt hatte ich gar keine Zeit und Möglichkeit, mich mit dieser Frage zu befassen.

Wie beurteilen Sie Marija Jaremtschuk, die in Kopenhagen für die Ukraine an den Start geht?

Sie ist eine junge, talentierte Sängerin. Ihre persönlichen Qualitäten kenne ich nicht. Ich hoffe, dass sie eine würdige Teilnehmerin ist, denn sonst würden die Ukrainer sie nicht anerkennen.

Ist der Eurovision Song Contest immer auch politisch?

Diese Diskussionen gibt es jedes Jahr aufs Neue. Es muss doch jedem die Tatsache bewusst sein, dass sich Nachbarn gegenseitig unterstützen. Das ist ein ganz natürliches Phänomen. Seelenverwandte Völker sind untereinander solidarisch, und das ist viel wertvoller als jede Politik.

Gehört die Ukraine mehr zu Europa oder mehr zu Russland?

Die Ukraine war schon immer Teil von Europa – geografisch, historisch und vor allem kulturell. Wir sind Teil der europäischen Gesellschaft, und ich glaube fest daran, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Ukraine vollständig in der europäischen Zivilisation integriert ist.

Wie kann Europa der Ukraine helfen?

Als Erstes darf Europa nicht auf die beispiellose Propaganda Putins hereinfallen, derzufolge angeblich Terroristen und Faschisten die Regierung gestürzt hätten. Tatsächlich war und ist es eine Revolution des Volkes gegen ein zutiefst korruptes Regime. Ich bin der EU dankbar für die bisher geleistete Unterstützung, aber in der Reaktion auf den Einmarsch Russland auf der Krim ist Europa zu zögerlich. Glaubt Ihr, Putin gibt sich mit der Krim zufrieden? Der einzige Weg, den Krieg zu beenden, sind harsche Sanktionen, die die russische Wirtschaft bis ins Mark treffen.

Was ist der politische Traum von Ruslana?

Alles, was ich will, ist Frieden! Es darf nicht noch mehr Blut fließen! Und die Ukraine darf keinesfalls geteilt werden. Die Aggressionen Putins müssen umgehend gestoppt werden! Mein langfristiger Traum, nein, mein erklärtes Ziel ist die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU, und ich werde alles dafür tun, dieses Ziel zu erreichen.

27 Mar 2014

AUTOREN

Jan Feddersen

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