taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Fröhliche Grenzgänger
Einige Fernwanderwege in Europa verbinden Staaten. Doch den Wanderern geht es vor allem um nach innen gerichtete Motive wie Ruhe oder Selbstfindung.
Fernwanderwege mit einer Gesamtlänge von 55.000 Kilometern. Ein 10.000 Kilometer langer „Europa-Radweg Eiserner Vorhang“, der an der Westgrenze der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten durch 20 Länder führt, von denen 15 Mitgliedstaaten der EU sind. Reisen, vor allem Radfahren und Wandern verbindet.
Auch Nationen. Das dachte sich zumindest die Europäischen Wandervereinigung als sie bei ihrer Gründung 1969 ein „völkerverbindendes Netz“ von Europäischen Fernwanderwegen schuf.
Der Europäische Fernwanderweg E1 verläuft von Umbrien in Italien bis zum Nordkap. Der Fernwanderweg E2 beginnt in Schottland und endet an der französischen Mittelmeerküste in Nizza. Der E4 führt von Spanien, über Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland nach Zypern.
Sehen, hören, riechen, einfach drauflos marschieren. Nach neueren Untersuchung geht es Wanderern heute weniger um völkerverbindende Erfahrung, wichtig werden die nach innen gerichtete Motive: Stress abbauen, frische Kraft sammeln, zu sich selber finden. Das mag den Erfolg des Pilgerwegs nach Santiago de Campostella erklären. Ihm eilt der esoterisch-religiöse Ruf von Selbsterkenntnis und Bußgang voraus. Hochleistungssportler, fröhliche Pilgerklubs, aufrechte Christen, atheistische Skeptiker, Suchende – die einstige Randgruppe mit Filzhut ist dort bunte, mobile Masse.
Der durchschnittliche Wanderer ist heute kein älterer Sonderling, sondern kommunikationsbedürftig, Mitte bis Ende 40, überdurchschnittlich gebildet. Der Pilgerweg nach Santiago ist der letzte Hippietrail. Eine Sinnwundertüte und gerade deshalb der völkerverbindende europäischer Treffpunkt.
Fröhliche Grenzgänger ist auch Thema auf dem [1][taz-Kongress], Samstag, den 12. April 2014 um 11.15 Uhr im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
12 Apr 2014
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