taz.de -- Kommentar IS in Kobani: Kampf gegen die Zeit

Fällt Kobani an den IS, steht die Türkei vor dem Bürgerkrieg. Nur eine türkisch-kurdische Verständigung kann das verhindern.
Bild: Rauchwolken über der Stadt.

Die letzten Nachrichten aus Kobani sind schlecht. Angeblich haben Milizen des sogenannten „Islamischen Staat“ Freitagmittag das Hauptquartier der Kurden im Zentrum von der Stadt erobert und versuchen nun, bis zur türkischen Grenze vorzustoßen um den Kurden jeden Weg raus aus Kobani abzuschneiden.

Das könnte darauf hindeuten, dass der Fall von Kobani unmittelbar bevorsteht und es dann, wie die UN warnt, ein Massaker an der verbliebenen Zivilbevölkerung und den Kämpfern gibt. Andererseits wurde der Fall der Stadt schon vor Tagen erwartet und die Kurden haben es doch immer wieder geschafft, sich noch zu behaupten. Halten sie auch jetzt noch ein paar Tage durch, besteht zu mindestens die kleine Chance, dass doch noch wirksame Hilfe von Außen kommt.

Die Voraussetzungen dafür sind, dass die türkische Regierung sich mit den USA über die Grunsätze eines Feldzuges gegen IS einigt, und dass es eine Verständigung über die nahe Zukunft zwischen Ankara und Vertretern der kurdischen PKK gibt. Für die türkische Regierung sind die Kurden in Kobani eine Unterorganisation der PKK. Hilfe für Kobani setzt deshalb eine Absprache zwischen dem historischen PKK-Führer Abdulla Öcalan, der aktuellen PKK-Führung im Nordirak und der Regierung in Ankara voraus.

Kobani könnte deshalb entweder zu einem Brandbeschleuniger im türkisch-kurdischen Konflikt werden oder aber eine schnellere Absprache in den seit einem Jahr geführten Friedensverhandlungen erzwingen, als ursprünglich geplant.

Das braucht aber noch ein paar Tage Zeit und die kommt nur, wenn die Unterstützung der Kurden aus der Luft wirksamer wird. Die USA wollen dafür endlich ihre Airbase im südtürkischen Incirlik nutzen können, weil dann Kampfhubschrauber zum Einsatz kämen, die IS effektiver angreifen können. Dafür widerum muss sich Obama bereiterklären, türkische Forderungen wie die Errichtung von Schutzzonen wenigstens in Erwägung zu ziehen. Diese Schutzzonen könnten ja zunächst außerhalb der kurdischen Autonomiegebiete liegen.

Der Kampf in Kobani ist deshalb auch ein Kampf gegen die Zeit. Noch einige Tage Verhandlungen hinter den Kulissen könnte dazu führen, dass die türkische Regierung ihre derzeitige Haltung, nur zuzuschauen wie IS vorwärtsdringt, aufgibt und Nachschub für die Kurden durchlässt. Die Chance ist nicht groß, besteht aber noch. Sollte die türkische Armee jedoch tatenlos zuschauen, wie der IS in Kobani ein Massaker veranstaltet, steht die Türkei vor einem kurdisch-türkischen Bürgerkrieg.

10 Oct 2014

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Jürgen Gottschlich

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