taz.de -- Umweltschützer gegen Asse-Entschädigung: Mitreden ist Gold

Der Bund will die Anwohner des Atommülllagers Asse entschädigen. Geld allein bringe nichts, sagen Umweltschützer. Die Bevölkerung müsse beteiligt werden
Bild: Geld vom Ministerium soll Anwohner entschädigen: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in der Asse.

GÖTTINGEN taz | Vorbild ist der Schacht-Konrad-Fonds: Wie bereits die Anwohner des geplanten Endlagers im Schacht Konrad in Salzgitter, sollen nun auch die Nachbarn des Atommülllagers Asse finanziell entschädigt werden. Und zwar für Nachteile, die durch die Einlagerung radioaktiver Abfälle in das ehemalige Kalibergwerk im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel entstanden sind und noch entstehen können. Eine Million Euro wird der Bund als Besitzer und Betreiber der Grube bereits in diesem Jahr zahlen, ab 2015 sollen es dann jedes Jahr drei Millionen Euro sein. Dieses Geld soll so lange fließen, bis der gesamte Atommüll aus der Asse geborgen ist. Wie, von wem und vor allem an wen diese Mittel konkret vergeben werden sollen, ist noch unklar.

„Geld verteilen alleine löst keine Probleme“, stellt die Wolfenbütteler Atom-Ausstiegs-Gruppe (WAAG) fest. Die WAAG ist eine in der Region um die Asse herum aktive Initiative. Die pauschalen Zahlungen des Bundes seien weder ein Ausgleich für tatsächlich entstandene Nachteile noch dürften sie dazu führen, dass Belastungen damit gerechtfertigt und „quasi abgekauft“ würden. Es müsse stattdessen kontinuierlich untersucht werden, welche Risiken es überhaupt gebe, welche Entwicklung die Asse-Region nehme, wie negativen Entwicklungen entgegengesteuert werden könne und wie nicht vermeidbare Nachteile ausgeglichen werden könnten. Und zwar über das Ende der Räumung hinaus.

Vorrangig zu prüfen sind laut WAAG gesundheitliche Risiken für Anwohner und Beschäftigte der Asse. Aber auch soziale und wirtschaftliche Auswirkungen des Asse-Betriebs müssen ausgewertet werden – die Immobilienpreise in der Region sind bereits im Keller, der Fremdenverkehr liegt brach und es gibt viele Leerstände. Nicht wenige Anwohner befürchten, dass bald weitere Lebensbereiche wie die Versorgung mit Kindergärten, Schulen und Arztpraxen betroffen sein könnten.

Die Atomkraftgegner drängen zudem darauf, dass ein Zukunftsrat eingerichtet wird, der über die Vergabe der Gelder entscheidet. Dieses Gremium „darf nicht aus politischen Mandatsträgern zusammengesetzt“ sein, sondern müsse mit Vertretern verschiedener Bevölkerungsgruppen besetzt werden, verlangt die WAAG. Auf diese Weise könne am besten gewährleistet werden, dass Risiken und Nachteile aus dem Betrieb des Atommülllagers „nicht dem politischen Kalkül zum Opfer fallen“. Außerdem käme so bei der Vergabe der Mittel nicht der Beigeschmack von großzügigen Wahlgeschenken auf. Der Zukunftsrat soll nach dem Willen der WAAG öffentlich tagen und regelmäßig über seine Arbeit informieren.

Die WAAG hat ihre Vorschläge jetzt der Wolfenbütteler Landrätin Christiana Stienbrügge (SPD) und den Kreistagsfraktionen unterbreitet. In ihrem Schreiben fordern die Umweltschützer, mit Blick auf den Asse-Fonds keine Fakten zu schaffen, ohne die Bevölkerung zu informieren und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das sei wiederum nur im Rahmen einer öffentlichen Informationsveranstaltung möglich. So könne Transparenz und Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden.

Im Atommülllager selbst hat sich unterdessen an einer Stelle der Zufluss von salzhaltiger Flüssigkeit erhöht. An dem Beobachtungspunkt in 750 Meter Tiefe werden jeden Tag rund 500 Liter Flüssigkeit aufgefangen, teilte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mit. Bis vor Kurzem waren täglich lediglich 200 Liter in den betroffenen Bereich geflossen.

Die eindringende Lauge sei aber nicht radioaktiv belastet und die Zuflussstelle liege auch nicht in der Nähe der Kammern mit Atommüll, erklärte das BfS. Insgesamt laufen jeden Tag rund 12.000 Liter Salzlösung in das Atommülllager. Woher diese Flüssigkeit stammt, ist nicht genau bekannt.

29 Oct 2014

AUTOREN

Reimar Paul

TAGS

Asse
Atommüllendlager
Entschädigung
Schacht Konrad
Asse
Jäger
Asse
Asse
Atommüll
Gorleben
Entsorgung
Robert Habeck

ARTIKEL ZUM THEMA

Salzwasser wird außer Landes geschafft: Rätselraten um Asse-Lauge

Salzhaltiges Grubenwasser aus dem maroden Atommülllager Asse soll vorerst nicht in der Elbe verklappt werden. Wohin es entsorgt wird, soll aber geheim bleiben

Die Rückkehr der Wölfe: Isegrims Imageproblem

Seit 15 Jahren leben die Tiere wieder in Deutschland. Kaum jemand bekommt sie zu sehen. Trotzdem herrscht vielerorts die „Angst vorm bösen Wolf“.

Atommüll in der Asse: Die Grube kann jederzeit absaufen

Den Atomkraftgegnern dauert die Rückholung des radioaktiven Mülls zu lange – doch wer bremst, können die Umweltschützer nur vermuten.

Atommüll in der Asse: Zwischenlager-Suche ausgesetzt

Weil sich das Bundesamt für Strahlenschutz mit der Asse-2-Begleitgruppe bei der Zwischenlager-Suche nicht einig ist, wird sie vorerst komplett abgeblasen.

Mehr Atommüll als gedacht: Endlager reichen nicht

Die Bundesregierung räumt ein: Statt 300.000 gibt es 600.000 Kubikmeter radiokativen Abfall. Schacht Konrad ist zu klein dafür.

30 Jahre „Tag X“: Geschichte wird gemacht

Vor 30 Jahren rollten im Wendland die ersten Fässer mit Atommüll: Ein Rückblick auf einen historischen Kampf, der längst nicht vorbei ist.

Stadt mit Ausstrahlung: Atomaufsicht unter Aufsicht

Nach miesen Schlagzeilen um verstrahltes Wasser in Stade krempelt Niedersachsens Energieminister Wenzel Atomaufsicht um.

Der Müll, den niemand wüll: AKW-Schrott ohne Abnehmer

Der Reaktor Stade wird „rückgebaut“ – doch Betreiber Eon findet keine Deponien.

Rost im Atommülllager Brunsbüttel: Spüli und Cäsium 137

Im Atommülllager in Brunsbüttel wurden weitere rostige Fässer entdeckt. Umweltminister Habeck fordert die Überprüfung anderer Zwischenlager.