taz.de -- Anschlag in der Türkei: Ein revolutionärer Irrtum

Eine linksradikale Gruppe zieht ihr Bekenntnis zum Anschlag in Istanbul zurück. Die Selbstmordattentäterin soll im Auftrag des IS gehandelt haben.
Bild: Die Polizeiwache, auf die der Anschlag verübt wurde.

Das gab es selbst in der Türkei noch nie. Die linksextreme DHKP-C entschuldigt sich bei ihren Anhängern und gibt schriftlich zu Protokoll, dass der Anschlag auf eine Polizeistation in Istanbul am vorletzten Wochenende doch nicht auf ihr Konto geht. Man habe zwar in dem Viertel – es geht um das Touristenviertel Sultan Ahmet – auch einen Anschlag vorbereitet, dazu sei es aber nicht mehr gekommen. Weil die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Organisation auf ein Minimum reduziert ist, sei das Bekennerschreiben fälschlicherweise losgeschickt worden.

Der revolutionäre Irrtum trat für die DHKP-C offenbar dadurch zutage, dass die Mutter der angeblichen Attentäterin die Leiche nicht als ihre Tochter identifizieren konnte. Stattdessen gelang es der Polizei anhand eines Handys, das bei der Selbstmordattentäterin gefunden wurde, deren wirkliche Identität zu entschlüsseln. Danach handelt es sich um eine Tschetschenin aus dem russischen Dagestan, die vor einigen Monaten in die Türkei als Touristin eingereist war und dann untertauchte.

Ihr Name soll Diana Ramazova sein. Der türkische Geheimdienst MIT ist überzeugt, dass Ramazova im Auftrag des Islamischen Staates (IS) handelte. Sie sei vom IS rekrutiert worden, heißt es aus Sicherheitskreisen. Den Anstoß dazu sollen die Kämpfe in Kobani gegeben haben. Angeblich wurde ihr Verlobter, der aufseiten der IS-Angreifer kämpfte, dort getötet.

Es wäre der erste nachgewiesene Anschlag von IS in der Türkei. Nun untersucht die Polizei, ob es einen zeitlichen Zusammenhang mit den Attentaten in Paris gibt. Seit Monaten wird in den Medien darüber spekuliert, dass der IS in der Türkei längst über ein breit gestreutes Netz von Anhängern verfügt, das jederzeit für Anschläge zu mobilisieren sei. Dies erkläre auch die Zurückhaltung der Regierung gegenüber der Anti-IS-Allianz.

Westliche Geheimdienste gehen sogar davon aus, das es im syrisch-türkischen Grenzgebiet eine Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS gibt. Der Grund dafür sind angebliche Waffenlieferungen sowie Berichte über die Behandlung von IS-Kommandeuren in türkischen Krankenhäusern.

Sollte der Anschlag in Istanbul auf das Konto des IS gehen, könnte das auf einen vorsichtigen Wechsel in der türkischen Politik hinweisen. Die USA üben seit Monaten in Ankara heftigen Druck aus, damit sich die Türkei stärker gegen den IS engagiert.

11 Jan 2015

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Jürgen Gottschlich

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