taz.de -- Krieg im Osten der Ukraine: Weiterzündeln, solange es geht

Russland hat kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Der Konflikt lenkt von seinen innenpolitischen Problemen ab. Und auch Kiew setzt aufs Militär.
Bild: Von wegen Waffenrufe: ein vor wenigen Tagen zerstörtes Haus in Donezk.

MOSKAU taz | Ob und wann es einen neuen Anlauf zu Friedensverhandlungen über die Ostukraine geben wird, ist unklar. Weder die Ukraine noch Moskaus Separatisten sind auf Gespräche erpicht, die sie zu Zugeständnissen nötigen. Die Regierung in Kiew steht unter zunehmendem Druck der Bevölkerung, die eine schnelle militärische Lösung will. Präsident Petro Poroschenko gab dieser Stimmung nach, als er am Sonntag auf einer Trauerdemonstration versprach, „keinen Fuß breit“ ukrainischen Bodens preiszugeben und in den Ostprovinzen die Hoheit des ukrainischen Staates wiederherzustellen.

Poroschenko sprach in Kiew auf einer Demonstration, die an die 12 Toten von Wolnowacha erinnerte. Sie waren am Dienstag vergangener Woche bei einem Raketenangriff auf einen Bus ums Leben gekommen. Die Grad-Rakete schlug an einem ukrainischen Kontrollpunkt ein. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig. Die OSZE-Mission untersuchte den Vorfall. Sie stellte fest, dass die Rakete aus Richtung des von Separatisten besetzten Gebietes abgeschossen worden sein musste. Dieser Vorfall beendete eine Phase der „leichten Entspannung“.

Letzte Woche war dies bereits der zweite Bericht, der Indizien für eine russische Beteiligung an den Kriegshandlungen aufdeckte. Die unabhängige Recherchegruppe Correct!v, der Spiegel und das niederländische Algemeen Dagblad hatten den Verdacht erhärtet, dass russische Kräfte den Abschuss der MH 17 im Juli 2014 über der Ukraine mit einer BUK-Rakete verursacht hätten. Russische Medien verschwiegen dies.

Am Wochenende brachen wieder schwere Kämpfe um den Flughafen von Donezk aus, die Lage ist unübersichtlich. Die Kontrahenten reklamieren Erfolge jeweils für sich. Das Kiewer Militär nannte den Vorstoß eine Begradigung der Front, wie sie im Minsker Protokoll vom September bestanden habe, und sah keinen Verstoß gegen die Waffenstillstandsvereinbarung. Für beide ist der zerbombte Flughafen von symbolischem Wert.

Neuer Nachschub aus Russland

Kremlchef Wladimir Putin forderte unterdessen am Donnerstag die Kriegsparteien auf, die Waffen ruhen zu lassen und schwere Artillerie hinter die Waffenstillstandslinien zu verlegen. Gleichzeitig verstärkten die „Aufständischen“ den Angriff in Donezk. Das nährt die Vermutung, dass die Separatisten aus Russland neuen Nachschub erhalten haben und Putins Appell nur fürs Protokoll gedacht war.

Moskau hat kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Es müsste nur den Artikel 4 des Minsker Protokolls erfüllen, wonach es russische Kräfte aus der Ukraine zurückzieht und die Grenzsicherung wieder der Ukraine überlässt. Selbst Bemühungen der OSZE, die Grenze genauer zu überwachen, unterlief Moskau noch im Dezember. Wäre die Demarkationslinie unter Kiewer Kontrolle, gäbe es keinen Nachschub mehr für Moskaus separatistische Vorhut.

Auffallend ist, dass der Kreml auf diplomatischer Ebene mitspielt und sein Friedensanliegen unterstreicht. Steht die Umsetzung bevor, weicht er jedoch zurück. Nach außen hin soll der Eindruck erhalten bleiben: Russland ist keine Partei, aber engagierter Friedensbroker.

Tatsächlich verfolgt die russische Führung das Kalkül: Je länger die Auseinandersetzung anhält, desto schwieriger wird es für Präsident Poroschenko, Reformen umzusetzen. Die Unzufriedenheit in der Ukraine dürfte wachsen und Kiew könnte sich dann nicht mehr als zivilisatorische Alternative empfehlen.

Der Ukrainekrieg beruht vornehmlich auf innenpolitischen Problemen des Systems Putin. Der Feldzug gegen den Nachbarn soll von den Untiefen des autoritären Systems ablenken. Russland wird den Konflikt daher als Hebel zur Destabilisierung Kiews nutzen, solange es geht.

Gelingt es Russland, die „Volksrepubliken“ in Gebiete mit Sonderstatus in der Ukraine zu verwandeln, würde es sicherheitspolitisch über ein Veto verfügen. Weiteres Kalkül: Je länger sich der Krieg hinzieht, desto ungehaltener dürfte die EU reagieren und Kiew drängen, diese Föderalisierung anzuerkennen. Eine humanitäre und soziale Katastrophe in der Ostukraine würde dem noch in die Hände spielen.

19 Jan 2015

AUTOREN

Klaus-Helge Donath

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