taz.de -- Kommentar Tillich und Islam: Hauptstadt der Orient-Liebe

Sachsens Ministerpräsident Tillich meint, dass der Islam nicht zu Sachsen gehört. Da kennt er die Geschichte seines Landes aber schlecht.
Bild: Ein bisschen Islam darf sein – aber bitte nur im Ausland: Tillich in Abu Dhabi

Auch wenn in Dresden nur wenig Muslime leben, wie bei der Erörterung der Pegida-Proteste immer wieder hervorgehoben wird, gibt es wohl keine andere deutsche Stadt, die so stark vom Islam geprägt ist wie die sächsische Hauptstadt. Das fängt schon mit ihrer berühmten Silhouette an, in die sich seit hundert Jahren ein Stück muslimischer Architektur prominent eingefügt hat.

Es handelt sich um die ehemalige Zigarettenfabrik Yenidze, die 1908 errichtet und nach ihrem Tabakanbaugebiet im damaligen Osmanischen Reich benannt wurde. Der orientalische Baustil war damals, im späten Deutschen Kaiserreich, äußerst populär. Heute ist die Glaskuppel des einstigen Fabrikgebäudes – vor allem abends, wenn sie erleuchtet wird – von Weitem sichtbar.

Die alte sächsische Liebe zum Orient spiegelt sich aber auch in Dresdens staatlichen Kunstsammlungen wider – speziell in der Türckischen Cammer im Dresdener Residenzschloss, die zu den bedeutendsten Sammlungen osmanischer Kunst außerhalb der Türkei gehört. Sachsens Kurfürst August der Starke (1670–1733) setzte sich auf seinen barocken Festen gern als Sultan in Szene und importierte dafür Kamele und Araberpferde aus dem Osmanischen Reich.

Und nicht zu vergessen der sächsische Schriftsteller Karl May (1842–1912). Dessen ehemalige Villa in Dresden-Radebeul beherbergt heute ein Museum, das von der Orientbegeisterung des Schöpfers von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar zeugt.

Dass in Dresden jede Woche so viele Menschen auf die Straße gehen, um gegen eine angebliche „Islamisierung“ auf die Straße zu gehen, und Sachsens Ministerpräsident Tillich nun sogar meint, der Islam gehöre nicht zu Sachsen, zeugt da von erstaunlicher Geschichtsvergessenheit. Eher muss man sich fragen, ob dieses Sachsen noch zu Deutschland gehört.

26 Jan 2015

AUTOREN

Daniel Bax

TAGS

Islam
Schwerpunkt Pegida
Sachsen
Stanislaw Tillich
Islamophobie
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Pegida
Schwerpunkt Rassismus
Islamophobie

ARTIKEL ZUM THEMA

Pegida und NoPegida in Frankfurt: Kein Abendland in Sicht

Bundesweit gingen am Montag 70.000 Menschen gegen Pegida auf die Straße. Eine der größten Demos für Toleranz fand in Frankfurt statt.

Gida- und Anti-Gida-Demos: Party gegen Rassismus

Die Dresdner veranstalten ein Fest für Toleranz. In anderen Städten versammeln sich die Sympathisanten der Islamkritiker. Aber die Gegner bleiben in der Überzahl.

Umgang mit Pegida-Anhängern: Abendland-Fans spalten die Parteien

In der SPD sorgt Gabriels Alleingang zu den Pegida-Anhängern in Dresden für Streit. Die Union hingegen zofft sich lieber über Merkels Islam-Satz.

Debatte Pegida: Fehler der Konservativen

Pegida antwortet mit einer Lüge auf Verlogenheit. Denn kein Islamist und kein Flüchtling hat die Sozialsysteme geschrumpft.

Islamfeindliche Demo in Leipzig: 4.000 Polizisten für die Legidisten

Pegida hat Zwangspause, in Leipzig wird demonstriert. Zehntausende werden erwartet. Die Politik ist sich uneins, ob man mit den Islamfeinden in den Dialog treten soll.

Offizieller Umgang mit Pegida: Gegenwind für Richter

Erste Stimmen fordern den Rücktritt von Frank Richter als Leiter der Landeszentrale für politische Bildung. Auch die Bundeszentrale kritisiert ihn.

Islamfeindliche Pegida in Sachsen: Tillich will Dialog mit Demonstranten

Pegida protestiert gegen eine „Islamisierung des Abendlandes“. Sachsens Ministerpräsident Tillich will mit den Demonstranten reden. Nicht nur er.

Pegida-Demonstration in Dresden: Die Tiraden der Generalverbitterten

Erneut gehen Tausende auf die islamophobe Pegida-Demonstration. Inzwischen distanzieren sich alle Parteien – nur die AfD bekundet „Sympathie“.