taz.de -- Netanjahu vor dem US-Kongress: „Bedrohung für die Welt“

Bei seiner umstrittenen Rede in Washington warnt Israels Ministerpräsident die USA vor iranischen Atombomben. Die eigenen erwähnt er nicht.
Bild: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Besuch in Washingtion

WASHINGTON taz | „Selbstgefällig“ und „beleidigend“ sei Benjamin Netanjahus Rede gewesen, sagt Nancy Pelosi, die Chefin der demokratischen Fraktion im US-Repräsentantenhaus. Deswegen habe sie, während er sprach, „mit den Tränen gekämpft“.

Republikanische Abgeordnete hingegen danken dem israelischen Premierminister mit 25 stehenden Ovationen. Darunter drei Minuten am Ende. In seiner 43minütigen Kampfrede gegen den Iran und gegen US-Präsident Barack Obama vergleicht Netanjahu den Iran mit Nazi-Deutschland und nennt ihn eine „Bedrohung für die Region und für die Welt“.

Seine Rede ist gespiekt mit „Feinden“, „Kriegen“ und „Kämpfen“. Er endet mit einem Bibelzitat, das er auf Hebräisch und Englisch vorträgt: „Seid mutig und stark. Fürchtet euch nicht.“

Während US-Außenminister John Kerry und Vertreter von fünf anderen Ländern – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Russland – in der Schweiz um eine diplomatische Lösung mit dem Iran ringen, nutzt Netanjahu seine Zeit vor beiden Kammern des US-Kongress, um eine diplomatische Lösung zu verhindern.

Er nennt das angestrebte Abkommen „schlecht“ und behauptet, es würde die Situation verschlechtern, anstatt sie zu verbessern. Dabei enthüllt er keine neuen Informationen, sondern beschwört eine vom Iran ausgehende atomare Apokalypse, die größer werde, falls das Abkommen zustande komme. Dabei flechtet er einen Satz ein, der umgehend für bittere Lacher auf der anderen Seite sorgt: „Meine Rede hat nichts mit Politik zu tun“.

Nicht alle wollten Netanjahu hören

Im Vorfeld von Netanjahus umstrittenem Auftritt – zwei Wochen vor den Wahlen in Israel und in der Endphase der Iran-Gespräche – hatte das Weiße Haus Netanjahu davor gewarnt, Geheiminformationen zu veröffentlichen. Die USA briefen Israel regelmäßig über die Verhandlungen mit dem Iran. Dutzende von demokratischen Abgeordneten – darunter die Mehrheit der afroamerikanischen und der progressiven DemokratInnen und zahlreiche jüdische Abgeordnete – blieben dem Auftritt fern.

Kaum ist die Rede vorbei sagt eine der besten Iran-Kennerinnen in den USA auf CNN, dass Netanjahu sie an „Dr. Strangelove“ erinnere. Die Journalistin Christiane Amanpour spielt damit auf einen Film von Stanley Kubrick aus dem Kalten Krieg an.

Präsident Obama erklärte, dass er die Rede nicht live verfolgt habe, weil er gleichzeitig eine Konferenzschaltung mit europäischen Politikern hatte. Allerdings habe er ein Skript der Rede gesehen und daran erkannt, dass es „nichts Neues“ gab. Der US-Präsident stimmt dem israelischen Premierminister in zwei Punkten zu - unsere Beziehung ist unzerbrechlich und der Iran ist ein gefährliches Regime, das eine antismitische Sprache benutzt. Die „zentrale Frage" so Obama, sei jedoch, „wie können wir den Iran daran hindern eine Atombombe zu entwickeln?" Und genau dazu habe der Premierminister keine gangbare Alternative vorgeschlagen.

Noch während der Rede finden mehrere kleine Demonstrationen statt. In New York verlangen DemonstrantInnen, die – teilweise mit Kipas – vom Times Square zum israelischen Konsulat ziehen, ein „Ende der Besatzungen“ und kündigen an: „Wir werden nicht schweigen“.

„Schämt Euch“

In Washington bilden ein paar Dutzend Mitglieder der Anti-Kriegsgruppe Code Pink ein Spalier vor dem Eingang zum Kongressgebäude. Den Abgeordneten, die durch das Spalier gehen müssen, um in das Gebäude zu kommen, rufen sie zu: „Schämt Euch“ und „bleibt fern“.

Die israelischen Atombomben, die ein offenes – aber weder von Israel noch von den USA dementiertes oder zugegebenes – Geheimnis sind, erwähnt Netanjahu in seiner Rede nicht.

Hingegen geht der renommierte Linguistikprofessor Noam Chomsky, der sich in zahlreichen Büchern mit Israel und dem Nahost-Konflikt befasst hat, darauf ein. In einem Interview mit „Democracy Now“, sagt er, dass es Netanjahu nicht um Frieden oder das Überleben Israels gehe, sondern darum, seine eigene Vormachtstellung zu verteidigen.

Chomsky: „Israel hat – seit vermutlich 40 oder 50 Jahren – Atomwaffen. Netanjahu will keine Abschreckung in der Region.“

3 Mar 2015

AUTOREN

Dorothea Hahn

TAGS

Schwerpunkt Atomkraft
Israel
Schwerpunkt Iran
Benjamin Netanjahu
Atomstreit
US-Kongress
Palästinenser
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Iran
Benjamin Netanjahu
Barack Obama
Barack Obama
Benjamin Netanjahu
Benjamin Netanjahu
Gaza
Verschwendung

ARTIKEL ZUM THEMA

Debatte Israel vor der Wahl: Netanjahus langer Schatten

Im derzeitigen Wahlkampf dominieren der Konflikt mit den Palästinensern und Irans Atomprogramm. Innenpolitische Probleme werden ignoriert.

Netanjahu vor der Parlamentswahl: Zeit „nicht reif“ für Palästinenserstaat

In einer Broschüre steht, der israelische Premier sei grundsätzlich gegen einen palästinensischen Staat. Dem widerspricht er. Für Zugeständnisse ist er aber auch nicht.

Atomverhandlungen mit dem Iran: Die Gespräche gehen weiter

Ungeachtet der israelischen Kritik gehen die Verhandlungen zwischen dem Westen und Iran weiter. Trotz einiger Fortschritte gibt es noch Differenzen.

Kommentar Rede Netanjahu: Ein gewiefter Stratege

Den engsten Bündnispartner USA brüskiert und den Iran dämonisiert: Was genau will der israelische Premierminister Netanjahu eigentlich? Viel.

Benjamin Netanjahu in Washington: Schicksalhaft und umstritten

Israels Premier Netanjahu redet vor dem US-Kongress. Sein Ziel: Obamas Iran-Politik zu torpedieren. Die Opposition wirft ihm Kalkül vor.

Netanjahu besucht die USA: „Schicksalhaft und historisch“

Israels Ministerpräsident Netanjahu will im US-Kongress für eine harte Haltung gegenüber dem Iran werben. Ein Treffen mit Präsident Obama wird es nicht geben.

Netanjahus Warnung vor Iran: Atomgefahr aufgebauscht

Israels Ministerpräsident hat bei seinem UN-Auftritt die iranischen Atomgefahr übertrieben dargestellt. Das geht aus einem Mossad-Bericht hervor.

Debatte Netanjahus Aufruf: Kommt nach Israel?

Benjamin Netanjahu rief Juden aus Europa auf, nach Israel auszuwandern. Auch wegen seiner Politik ist das Leben in Israel gefährdet wie nirgendwo sonst.

Debatte Israel und Palästina: Der vergessene Konflikt

Der Syrienkrieg und die Diktatur in Ägypten lähmen den israelisch-palästinensischen Friedensprozess. Doch der Konflikt ist nicht lange nicht gelöst.

„Bottlegate“-Skandal in Israel: Schuld ist übrigens der Hausmeister

Familie Netanjahu verschwendet öffentliche Gelder, belegt ein Bericht. Die sagt: Der Hausmeister ist schuld. Die Wähler interessiert das eh kaum.