taz.de -- Italien gönnt sich eine Wahlreform: Ein Gesetz ganz nach gusto

Klare Mehrheiten wollte Ministerpräsident Matteo Renzi zukünftig im Parlament. Das dürfte ihm mit der Reform in der Tat gelungen sein.
Bild: Alle wollen ihn fotografieren: Regierungschef Renzi (links) im Theater La Scala in Mailand

ROM taz | Ministerpräsident Matteo Renzi steht vor einem der wichtigsten Erfolge seit der Regierungsübernahme im Februar 2014. Am Montag wird das Abgeordnetenhaus mit höchster Wahrscheinlichkeit ein neues Wahlrecht verabschieden, das für Renzi wie maßgeschneidert ist. Schon in der letzten Woche hatte die Regierung mit drei Vertrauensabstimmungen die Artikel des Gesetzes im Eilverfahren durchgeboxt und dabei komfortable Mehrheiten erzielt.

„Am Tag nach jeder Wahl“ sollten die Italiener mit Sicherheit wissen, wer sie die nächsten fünf Jahre regiere: Dies war Renzis Vorgabe für das neue Wahlgesetz, das in Zukunft klare Mehrheiten im Parlament gewährleisten und damit der jahrzehntelangen italienischen Tradition schwacher, zersplitterter und kurzlebiger Regierungsbündnisse ein Ende setzen soll.

Vorgesehen ist, dass die siegreiche Partei einen Mehrheitsbonus bekommt und so auf jeden Fall im Abgeordnetenhaus die absolute Mehrheit von 340 der 630 Sitze erhält. Auf zwei Wegen kann eine Partei diesen Bonus realisieren. Entweder sie erhält schon im ersten Wahlgang mehr als 40 Prozent der Stimmen; dann ist sie automatisch Sieger.

Wenn keine Liste diesen Wert erreicht, kommt es zu einem zweiten Wahlgang; zu der Stichwahl sind nur die beiden stärksten Parteien zugelassen. Wer dort die Nase vorn hat, bekommt die 340 Sitze. Die restlichen 290 Sitze werden unter den Oppositionsparteien aufgeteilt, die die 3 Prozent-Hürde überwinden.

Scharfe Kritik auch in den eigenen Reihen

Da die Regierung Renzi zugleich die weitgehende Entmachtung der zweiten Kammer, des Senats, mit einer Verfassungsänderung durchsetzen will, hätten zukünftige Regierungen dank ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus eine enorme Machtfülle: Sie könnten einen ihnen genehmen Staatspräsidenten wählen und das Verfassungsgericht auf Linie bringen.

Als undemokratisch geißelten denn auch die Oppositionsabgeordneten das Gesetz. Renzi hatte es ursprünglich mit Berlusconi ausgehandelt, doch auch dessen Forza Italia hatte schließlich einen Schwenk hin zur Ablehnung vorgenommen. Allzu offensichtlich ist, dass das Gesetz nur einem nützt: Matteo Renzi. Er steht mit seiner PD gegenwärtig völlig unangefochten im Zentrum der politischen Arena. Während die PD in allen Meinungsumfragen auf 36-38 Prozent kommt, erreicht die Protestliste M5S 20 Prozent und Forza Italia und die rechtspopulistische Lega Nord nur je etwa 13 Prozent.

Zugleich nutzte der dynamische Ministerpräsident das neue Wahlgesetz auch, um seine innerparteilichen Kritiker weiter in die Ecke zu treiben und zu schwächen. Die Minderheitsflügel teilen in der Sache viele Kritikpunkte der Opposition und hatten eine Nachbesserung des Gesetzes gefordert, die Renzi rundheraus ablehnte. Stattdessen ging er mit den Vertrauensvoten der letzten Woche die direkte Machtprobe ein.

Gespaltener Minderheitsflügel

Sie wurde zum Desaster für die Minderheitsflügel, die auf dem Papier etwa 110 der 330 PD-Parlamentarier im Abgeordnetenhaus zählen. 38 von ihnen hielten sich von der Abstimmung fern, sprachen der Regierung also nicht das Vertrauen aus. Vorher jedoch hatten sich die Minderheitsflügel gespalten; das Gros schlug sich zähneknirschend auf die Seite Renzis – und seine parteiinternen Gegner präsentierten sich wieder einmal als völlig zerrüttete Mannschaft ohne Führung und ohne Programm – und ohne Zukunft.

Die meisten der Opponenten in der PD müssen damit rechnen, bei den nächsten Wahlen nicht mehr aufgestellt zu werden. Renzi darf dann mit einer satten Mehrheit und mit einer ihm treu ergebenen PD-Fraktion rechnen.

3 May 2015

AUTOREN

Michael Braun

TAGS

Italien
Matteo Renzi
Wahlrecht
Italien
Wirtschaftskrise
Italien
Reform
Flüchtlingspolitik
Bootsunglück
Küstenwache
Frontex
Jagd
Bestechung

ARTIKEL ZUM THEMA

Regionalwahlen in Italien: Posterboy Renzi ist angeschlagen

Der Regierungschef muss erstmals Stimmenverluste hinnehmen. Sie sind Ergebnis innerer Zerwürfnisse. Die Rechte profitiert davon aber nicht.

Wirtschaftskrise in Europa: Italiens Wirtschaft atmet auf

Nach Jahren der Krise erwarten die Statistiker für 2015 nun ein bescheidenes Wachstum. Die Arbeitslosenquote liegt bei 12 Prozent.

Neues Wahlrecht in Italien: Bis zu fünfzehn Prozent geschenkt

Italien hat das Wahlgesetz reformiert. Hat die stärkste Partei über 40 Prozent der Stimmen, erhält sie 55 Prozent der Abgeordnetensitze.

Kommentar Wahlrechtsreform in Italien: Neue Ära, alte Gefahren

Der italienische Ministerpräsident Renzi will das Wahlrecht reformieren. In Europa wird das gut ankommen. Für sein eigenes Land aber birgt es große Risiken.

Reaktionen Katastrophe im Mittelmeer: Sogar de Maizière gibt sich liberal

Außen- und Innenminister diskutieren in Brüssel. Die Linke will Frontex abschaffen, die Grünen fordern sichere Fluchtwege nach Europa.

Schlepper an Bord des Flüchtlingsschiffs: Fluchtwege versperrt

Ein Überlebender der Katastrophe vom Sonntag berichtet, an Bord seien mehr als 900 Menschen gewesen. Das UNHCR zweifelt, ob das möglich ist.

Kommentar Seenotrettung: Massengrab Mittelmeer

700 tote Flüchtlinge: Europa muss sich auf das Machbare konzentrieren – und von der Illusion verabschieden, es könne die Flüchtlinge fernhalten.

Flüchtlinge im Mittelmeer: Katastrophe vor Libyen

Überlebende und die Hilfsorganisation Save the Children berichten vom Untergang eines Flüchtlingsschiffes im Mittelmeer: mehr als 400 Tote.

Vogeljagd in Malta: Die Insel der Turteltauben-Mörder

Die EU hat die Vogeljagd im Frühjahr verboten. Malta setzt sich darüber hinweg und holt sich nun mit einem Referendum die Unterstützung seiner Bürger.

Bestechungsskandal in Italien: Eine organisierte Geldwäsche

Jetzt hat auch Regierungschef Matteo Renzi einen Bestechungsskandal am Hals. Der könnte sogar seine Koalition bedrohen.