taz.de -- Kommentar Kämpfe in Mazedonien: Tradition der Unterdrückung

Den heterogenen Staat Mazedonien zusammenzuhalten, erfordert Staatskunst. Zumal ein möglicher Zerfall des Landes Begehrlichkeiten weckt.
Bild: Minderheiten drohen, zwischen den beiden großen Volksgruppen zerrieben zu werden – Bewohner flüchten vor den Kämpfen im Norden.

Zweiundzwanzig Tote und Dutzende Verletzte bei [1][Kämpfen zwischen der Polizei und einer „Terroristengruppe“ aus dem Kosovo]: Mazedonien ist ein Staat an der Grenze des Zerfalls. Und das seit Langem. Ende der 90er Jahre, nach den Nato-Bombenangriffen auf Serbien und der Etablierung eines UN-Protektorats im Kosovo, drohte das Land in einem Bürgerkrieg unterzugehen.

Der seit der Unabhängigkeit 1991 dominierende slawisch-mazedonische Nationalismus provozierte die unterdrückte albanische Minderheit, sich zu bewaffnen. Andere Minderheiten wie die slawischen Muslime und die Roma gerieten in Gefahr, zwischen den beiden großen Volksgruppen zerrieben zu werden.

Die gerade einmal zwei Millionen Einwohner mit all ihren Unterschieden und Religionen in dem gemeinsamen Staat zusammenzuhalten erfordert Staatskunst. Zumal der mögliche Zerfall des Landes auch Begehrlichkeiten weckt: Der bulgarische Nationalismus sieht in den orthodoxen Mazedoniern enge Verwandte, Serbien hat das Land zu okkupieren versucht, auch der griechische und albanische Nationalismus reklamieren territoriale Ansprüche. Im Gegenzug beanspruchen mazedonische Nationalisten Teile Bulgariens und Griechenlands.

Aus Vernunft ist das Abkommen von Ohrid 2001, das die Konflikte regeln sollte, nicht zustande gekommen: Nur unter dem politischen Druck der internationalen Gemeinschaft und unter dem militärischen Druck der Nato konnte ein Friedensvertrag zwischen Albanern und slawischen Mazedoniern vermittelt werden. Gleichberechtigung und Bürgerrechte für alle Individuen und Volksgruppen in Mazedonien sollten garantiert und der Weg des Landes in die Europäische Union und in die Nato geebnet werden.

Doch dieses Abkommen wurde niemals richtig umgesetzt. Die großen Chancen für eine Integration wurden durch die formal demokratisch gewählte Gruevski-Regierung vertan, indem sie die balkanisch-osmanische Tradition des Nepotismus, der Korruption, des Wahlbetrugs und der Unterdrückung unliebsamer Kritiker fortführte. Hinzu kommt noch, dass Griechenland alles unternimmt, Mazedonien die Annäherung an die EU zu erschweren.

Die Oppositionsbewegung mobilisiert die Menschen über die ethnischen Grenzen hinweg, die Regierung Gruevskis zu stürzen. Und Gruevski scheint um der Macht willen nationalistische Konflikte zu provozieren. Mit Staatskunst hat das nichts zu tun.

11 May 2015

LINKS

[1] /Auseinandersetzungen-in-Mazedonien-/!159649/

AUTOREN

Erich Rathfelder

TAGS

UN
Kosovo
Nationalismus
Mazedonien
Albanien
Balkan
UCK
Kämpfe
Ex-Jugoslawien
Demonstrationen

ARTIKEL ZUM THEMA

Debatte Lage auf dem Balkan: Korruption und Krise

Im Norden von Mazedonien explodierte vergangene Woche die Gewalt. War das ein Auftakt neuer bewaffneter Kämpfe in der vernachlässigten Region?

Politische Krise in Mazedonien: Minister treten nach Kämpfen zurück

Ohnehin gibt es eine politische Krise in Mazedonien. Nach den Gefechten am Wochenende sind nun zwei Minister und der Geheimdienstchef zurückgetreten.

Unruhen in Mazedonien: 30 Tage für 30 Mann

Zwei Tage dauerten die Gefechte in Kumanovo. Der Regierungschef vermutet eine Terrorgruppe dahinter – jetzt sitzen etliche ethnische Albaner in Untersuchungshaft.

Auseinandersetzungen in Mazedonien: Dutzende bei Kämpfen getötet

Im Norden des Landes hat es nach Schusswechseln mehrere Tote gegeben. Die bewaffnete Gruppe hatte sich in einem Stadtteil von Kumanovo verschanzt.

Kommentar EU und Ex-Jugoslawien: Der tiefe Fall Mazedoniens

Mazedonien pendelt zwischen Mini-Schurkenstaat und Bananenrepublik. Dabei gab die Staatsgründung mal Anlass zur Hoffnung.

Abhöraffäre in Mazedonien: Zusammenstöße auf Demo in Skopje

Tausende fordern den Rücktritt der Regierung. Die hat einen Abhörskandal am Hals. Für die Vorgänge hat sie eine andere Erklärung.