taz.de -- Verzweifelter Arbeitskampf in Sachsen: Aussperrung statt Tarifvertrag
180 Tage haben Beschäftigte einer Recyclingfirma gestreikt. Jetzt werden sie ausgesperrt. Bitter für die IG Metall!
Es ist ein trauriger Rekord. 180 Tage haben die Schrotterinnen und Schrotter im sächsischen Espenhain gestreikt. Doch das war’s jetzt. Der längste Streik in der Geschichte der IG Metall hat kein glückliches Ende gefunden – auch wenn die Gewerkschaft, um ihre Niederlage nicht eingestehen zu müssen, noch davon spricht, ihn [1][nur „unterbrochen“ zu haben].
Das ganze Gerede der vergangenen Wochen über die angeblich ins Unermessliche gestiegene Macht der Gewerkschaften und das vermeintlich allzu arbeitnehmer:innenfreundliche deutsche Streikrecht hat sich vor einem Werkstor südlich von Leipzig als Demagogie der Arbeitgeberlobby enttarnt. Nicht einmal die zahlreiche Politprominenz bis hin zum sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, die die Streikenden besucht hat, hat ihnen mehr als folgenlose Schulterklopferei eingebracht.
Dabei waren ihre Forderungen alles andere als revolutionär. Die Beschäftigten wollten [2][nicht mehr als einen Tarifvertrag], der dafür sorgt, dass sie nicht länger mehrere Hundert Euro im Monat weniger als ihre Kolleg:innen in vergleichbaren Betrieben im Westen verdienen und dafür auch noch länger arbeiten müssen.
Das bittere Ergebnis: Dem Arbeitgeber SRW metalfloat reicht es nicht, die Streikenden mit seiner Hartleibigkeit zermürbt zu haben, er verweigert ihnen jetzt auch noch die Wiederaufnahme der Arbeit. Zunächst bis zum 31. Mai werden sie ausgesperrt. Diese Demütigung bedeutet für die rund 90 Betroffenen, weiterhin keinen Lohn zu erhalten, sondern auf das deutlich niedrigere Streikgeld der Gewerkschaft angewiesen zu sein. Das ist hart für Menschen, deren Stundenlohn ohnehin nur knapp über dem Mindestlohn liegt.
Hinter der SRW metalfloat in Espenhain steckt ein chinesischer Konzern. Mit US-amerikanischen Kapitalisten wie [3][Elon Musk (Tesla)] oder [4][Jeff Bezos (Amazon)] hat er gemeinsam, nichts von deutschen Sozialpartnerschaftsmodellen zu halten. Gewerkschaften und Tarifverträge sind ihnen ein Gräuel. Weder die IG Metall noch Verdi haben bislang eine Antwort gefunden, wie sie diesen Kulturkampf gewinnen können.
6 May 2024
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Betriebsratswahlen werden häufig von der Arbeitgeberseite be- oder verhindert. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des gewerkschaftsnahen WSI.
Erstmals enthält ein Flächentarifvertag Regelungen, die nur für Mitglieder der IG BCE gelten. Solche Vorteile gab es zuvor nur in Haustarifverträgen.
Die Arbeiter:innen der Recyclingfirma SRW konnten keinen Tarifvertrag erstreiken. Nun endet ihr Arbeitskampf nach sechs Monaten Streik.
Nachdem die Arbeitgeber die Tarifschlichtung im Baugewerbe abgelehnt haben, ruft die Gewerkschaft nun zum Streik auf. Als Erstes trifft es Niedersachsen.
Gewerkschaftliche Arbeitskämpfe werden unter dem Druck der wirtschaftlichen Lage selbstbewusster. Entscheidend wird die Debatte ums Streikrecht.
Seit mehr als 125 Tagen streiken Arbeiter:innen des Recycling-Werks Rötha. Doch der Konzern verweigert Verhandlungen. Was macht das mit der Moral vor Ort?
Wenn die mächtigen Gewerkschaften im Verkehr streiken, ist das Land blockiert. Beschäftigte in anderen Branchen werden dagegen leider kaum wahrgenommen.