taz.de -- Entscheidung über einen Ukraine-Beitritt: Nicht geschenkt. Verdient!

Der Beginn der Verhandlungen über den EU-Beitritt der Ukraine ist ein Erfolg. Doch die Ukrainer denken an den Preis, den sie dafür bezahlt haben.
Bild: In Kyjiw demonstrieren Student*innen für die EU Annäherung der Ukraine auf dem Platz der Unabhängigkeit im November 2013

Vor [1][genau zehn Jahren] haben sich die Ukrainer endgültig für die EU entschieden. Damals nahmen [2][Hunderttausende an der Euromaidan-Revolution] teil. Heute wird die europäische Zukunft der Ukraine an einer 1.500 Kilometer langen Frontlinie verteidigt.

Wenn also gesagt wird, der ganze Prozess sei für die Ukrainer zu schnell gegangen, dann stimmt das nicht. So viele tragische Ereignisse liegen hinter ihr, und der höchste Preis wurde bezahlt – Tausende von Menschenleben. „Es war nicht alles umsonst“, twitterte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Europäischen Rates. Diese wird von den Ukrainern mit verhaltener Freude begrüßt: Sie denken an diejenigen, die diesem Tag so nahe waren, ihn aber nicht mehr erleben konnten.

Trotz der russischen Raketen am ukrainischen Himmel glauben die Ukrainer, dass dies eine historische Chance ist: Nicht nur für Entwicklung, sondern auch für das Überleben als Land und politische Nation. 78 Prozent der Ukrainer unterstützen den EU-Beitritt. Aber nur wenige machen sich Illusionen darüber, wie viel Arbeit noch vor ihnen liegt, um Mitglied der EU zu werden. Und 74 Prozent der Ukrainer sind laut einer neuen Meinungsumfrage davon überzeugt, dass die Ukraine keines ihrer Gebiete aufgeben sollte, auch wenn der Krieg noch lange andauern sollte.

„Es wird Frieden geben, wenn wir unsere Ziele erreichen. Ich erinnere daran, dass dies die Entnazifizierung, die Entmilitarisierung und der neutrale Status der Ukraine sind“, sagte Putin, als in Brüssel [3][die historische Entscheidung für die Ukraine] getroffen wurde.

Für Putin inakzeptabel

Putins Erklärung zeigt einmal mehr, dass der Kreml auch bei territorialen Zugeständnissen der Ukraine und einem Einfrieren der aktuellen Frontlinie nicht bei den bereits besetzten Gebieten haltmachen will. Er betrachtet die Ukraine nicht als unabhängigen Staat; dass das Land den europäischen Weg gewählt hat, ist für ihn inakzeptabel.

Deshalb muss die Ukraine heute so einen hohen Preis für ihre europäische Zukunft zahlen. Und deshalb ist der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen für die Ukraine kein Geschenk. Die Ukrainer haben lange und hart für die europäischen Werte gekämpft, ihre Zugehörigkeit zur europäischen Familie bereits mehrfach unter Beweis gestellt.

Auch für die EU selbst wird der Beitritt der Ukraine ein großer Erfolg sein. Vor dem Hintergrund populistischer, radikaler und extremistischer Stimmungen, die in Europa rapide zunehmen, werden die Ukrainer der EU einen zweiten Atem verschaffen und daran erinnern, was den Kern dieser Union ausmacht – Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit.

17 Dec 2023

LINKS

[1] /Jahrestag-der-Maidan-Proteste/!5028030
[2] /10-Jahre-Maidan-Proteste/!5970961
[3] /EU-und-Ukraine-verhandeln-ueber-Beitritt/!5968572

AUTOREN

Anastasia Magasowa

TAGS

Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Euromaidan
EU-Mitgliedstaaten
EU-Beitritt
Wladimir Putin
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Maidan
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine

ARTIKEL ZUM THEMA

Die Ukraine nach dem EU-Gipfel: Langer Krieg, langer EU-Beitritt

Kyjiw hofft auf einen zügigen EU-Beitritt. Aus Polens neuer proeuropäischer Regierung kommt nun der Ruf nach 20 Jahren Sperre für ukrainische Waren.

+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Putin wird sich nochmal wählen lassen

Als Unabhängiger will Wladimir Putin nächstes Jahr zur Präsidentschaftswahl antreten. 500 Prominente nominierten ihn. Kyjiw wurde erneut Ziel von Drohnen.

Zehn Jahre „Euro-Maidan“ in der Ukraine: Stilles Gedenken bei Minusgraden

In Kyjiw wird an die Protestbewegung Euro-Maidan erinnert. Dabei starben über 100 Menschen. Die juristische Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen.

10 Jahre Maidan-Proteste: Ganz in der Gegenwart

Vor 10 Jahren begannen in der Ukraine die Maidan-Proteste. Ihr Vermächtnis sind Menschen, die sich selbst als Subjekte der Geschichte verstehen.

EU und Ukraine verhandeln über Beitritt: Die Tür öffnet sich weiter

Die EU-Kommission empfiehlt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Derartige Gespräche mit einem Land im Krieg wären eine Premiere.